Erinnert Ihr euch noch an Eure Taufe?

Als ich getauft wurde, war ich knapp zwei Jahre alt und erinnern kann ich mich absolut nicht mehr. Hier ist das anders. Es sind nicht deine Eltern, die entscheiden, dich katholisch, evangelisch oder nach einer anderen Religion zu taufen. Nein, du bist es, der entscheiden muss, ob du bereit für Gott bist. Wenn du dich dazu entscheidest, dann musst du einen langen Weg auf dich nehmen. Es sind drei Jahre in denen du am wöchentlichen Unterricht (Katechese) teilnehmen, die Sonntagsmessen besuchen und Unterschriften sammeln musst. An wichtigen Festen wie Weihnachten sitzt du ab dem 24. bis zum Ende der Festtage dauerhaft in der Kirche – verpassen ist ein NoGo.

Das Ziel nach drei Jahren „Vorbereitung auf Gott“ ist die Taufe in der Osternacht oder am Ostersonntag. Ich durfte dieses Jahr dabei sein, wie vier von unseren Kindern getauft wurden. Jana und Tchao haben ihr aller erstes Sakrament in der Gemeinde unseren Stadtviertels erhalten, Kamillou und Essobola in der Don Bosco Gemeinde. Anders wie bei uns, dass auch die Jungen das Taufkleid angezogen bekommen, hatten alle Jungs einen weißen Anzug an, Jana ein Kleid.

Jana (Name geändert) kurz vor ihrer Taufe

Die beiden Messen, die einmal spät abends und einmal früh morgens stattfanden, waren wie immer sehr stimmungsvoll. Ein Großteil bestand aus unendlich langgezogenen Gesängen, durch die man glücklicherweise nur aufgeweckt wurde, weil man mitklatschen und tanzen konnte. Zur Feier des Tages wurde jeder einzelne Satz auf Kabye übersetzt und die Lesung, sowie das Evangelium doppelt vorgelesen. Der Höhepunkt, die Taufe, war selbstverständlich aufregend, da ich die ganze Zeit nach bekannten Gesichtern suchte, die sich zwischen 148 anderen Taufkindern versteckten – und da sind wir angekommen, bei dem wohl größten Unterschied – du wirst nicht alleine oder zusammen mit noch einem anderen Kind getauft, nein, gleich über 100 auf einmal. Wenn jeder und jede seine ganze Familie mitbringt, ist es kein Wunder, dass ich in der Osternacht von 35 Metern außerhalb der Kirche die Zeremonie verfolgt habe.

Ein Tropfen Wasser auf den Kopf, der Priester „zeichnet“ ein Kreuzzeichen mit seinem Daumen, nennt den Namen, entzündet die Taufkerze und schickt ihn/sie zusammen mit dem entsprechenden Taufpaten an die Seite.

Ostern – kurz und knapp

Für die Mädchen gab es über die Ostertage frei und wenn wir uns nicht in einer Messe befanden, verbrachten wir Zeit zusammen im Foyer oder außerhalb. Am Ostersamstag war ich morgens mit einem Mädchen zusammen auf dem Markt, begleitete anschließend zwei meiner Mädchen, die ihren endgültigen Vertrag für die Schneiderinnenlehre unterschreiben musste und holte noch schnell das Taufkleid von Jana ab. Es war also nur vorhersehbar, dass meine Augen in der Osternacht nicht nur einmal zufielen.

Am darauffolgenden Sonntag gab es abgesehen von der Ostermesse am Morgen, von der ich Euch ja schon berichtet habe, eine Fete am Abend. Der Ablauf war mir nicht mehr fremd: Es gibt leckeres Essen, diesmal Spagettisalat, Gemüsereis mit Fleisch und scharfer Soße, als Nachtisch einen überzuckerten Apfelsaft aus der Flasche. Die Musik ist lauter als der Türsteher breit ist und alle tanzen auf die natürlich ausschließlich französischen Hits. Da wir doch alle recht müde sind, machte auch der DJ gegen 22 Uhr schon schlapp und wir schlossen die wilden Tage mit einem gemeinsamen Gebet ab.

 

Der 27. April 2019

Am 27. April 1960 wurde das kleinste Land Westafrikas unabhängig und löste sich von der Kolonialmacht Frankreich. 59 Jahre später befinde ich mich in diesem Land und darf miterleben, wie man diesen besonderen Tag feiert: Das absolute Highlight ist der „Vorbeimarsch am Bürgermeister der Stadt Kara“.

Um sieben Uhr morgens trifft so langsam das Volk am Palast ein und man sucht sich entweder einen Platz auf den Stühlen unter dem Sonnendach oder stellt sich an den abgesperrten Bereich, um Schüler und Schülerinnen, Unternehmen, Institutionen, sowie die Polizei und das Militär beim Vorbeimarschieren zu bestaunen. Es handelt sich um eine Strecke von knapp 200 Metern – für die Marschierenden eine Sache von 3 Minuten, für uns, dem Publikum, eine Sache von über drei Stunden.

Der Bürgermeister kommt an, wir erheben uns von den Stühlen und die Band fängt an zu spielen. Gleich geht es auch schon los, beginnend mit den Grundschulen ganz Kara´s: als erstes ein Mädchen mit einem Schild, was zeigt, um welche Schule es sich handelt. Anschließend zwei Mädchen in einer Reihe mit großem Abstand zur großen Gruppe, und dann über zehn Reihen mit jeweils 7 Mädchen: Beine und Arme sind durchgestreckt und werden möglichst im Takt nach hinten und nach vorne geschwungen. Als zweite Gruppe kommen die Jungs: ein kleiner ganz vorne, dann zwei und hinten dran folgt eine ganze Herde.

Wir, das Publikum, gucken gespannt und suchen nach Gesichtern die man kennen könnte, es erinnert mich an unseren Rosenmontagsumzug. Geklatscht oder gelacht wird aber nur selten:

1. Die Militärsgruppe ist im Anmarsch. Das synchrone Marschieren klappt perfekt. Man überblickt die Gruppe, irgendwie tanzt einer aus der Reihe: da hat wohl jemand seinen dunkelgrauen Stahlhelm vergessen und als Ersatz nur einen beigen Sonnenhut mit Nackenschutz und Kordel um den Hals gefunden. Vor Lachen können wir uns fast nicht mehr auf den Stühlen halten.

2. Ein privates Gymnasium hat sich wohl viel Zeit zum Üben genommen, denn jede Bewegung stimmt. Bei über 200 SchülerInnen sieht deren Marsch wie animiert aus. Alle fangen an zu klatschen und zu jubeln, so eine Performance hat man bei den vierzig Gruppen davor noch nicht gesehen.

3. Eine Grundschule in Anmarsch. Überall kleine, schmale Jungs die sich voll auf ihre Schritte konzentrieren und inmitten ein kleiner Junge, den man nicht übersehen konnte. Dünne Arme, dünne Beine und dann: eine Wampe, wie man es sich bei einem Großvater vorstellt.

4. Es kommt der Judoverein aus Kara. Ganz vorne zwei Jungs mit Togoflag… Halt. Das ist gar keine Togoflagge. Die Jungs wollten sich wohl einen Spaß erlauben und marschierten mit jordanischer Nationalflagge anstatt einer togoischen. Auf Höhe des Bürgermeisters rannte ein Security-Mann los, riss dem Jungen im Lauf die Flagge aus der Hand und alle marschierten weiter, als wäre nichts gewesen.

Ja, auch dieser Tag war wieder ganz besonders, ganz neu und ganz aufregend. Mit meiner kleinen Togoflagge, die ich an meinem Rucksack befestigt habe, kam ich ins Foyer einmarschiert und die Mädchen wollten natürlich direkt die Videos sehen, die ich von meinem Tag aufgenommen habe.

(Die Bilder von diesem Tag waren leider noch nicht von meinem Handy runtergeladen, bevor es kaputt gegangen ist. Daher kann ich euch hier zu erst einmal keinen bildlichen Eindruck geben, werde aber schnellstmöglich versuchen, sie nachzureichen.)

Erster Mai

Seit über zehn Jahren wird in unserer Zeppelinstraße am ersten Mai gefeiert. Ich kannte es nie anders, als am Vortag das große Zelt aufzubauen, Stühle, Bänke und das Essen ranzuschaffen und dann mit all unseren Freunden aus der Straße zu feiern. Natürlich ist klar, dass es dieses Jahr irgendwie anders war:

Da es sich ja um den „Tag der Arbeit“ handelt, stand bei uns ein großes Fest mit allen MitarbeiterInnen von Don Bosco in Kara an: die LehrerInnen aus der Schule, die Professoren aus dem Ausbildungszentrum, unsere ErzieherInnen, die Krankenschwestern und Ärzte aus dem kleinen Krankenhaus und mitten drin auch ich, als Volontärin im Straßenkinderheim. In einheitlichem, weiß blauen Don Bosco-Tshirt wurde zu Beginn gemeinsam gegessen und anschließend das Tanzbein geschwungen. Dass mir die Mädchen das Tanzen beigebracht haben, das habe ich an diesem Abend nicht selten gehört und gemerkt. Manchmal, oder besser gesagt des Öfteren, wurde ich vom anhaltenden Videoblitz erwischt und wie von einem Scheinwerfer beleuchtet, worauf ich meinen Tanz aber schnell beendete und plötzlich auch das Licht erlosch.

So esse ich…

…so tanze ich…

..und so trinken wir.

Der DJ wurde müde und die meisten machten sich auf den Weg nach Hause oder zogen weiter in die Stadt um weiter zu tanzen, wie auch ich. Mit Freunden genoss ich meinen freien Abend bei lauter Musik, einem kalten „Feierabendgetränk“ und einer natürlich genialen Stimmung auf den Straßen Karas.


So viele besondere Stunden in einer so kurzen Zeit. So viele Stunden mit neuen Freunden und Bekannten und im Mittelpunkt natürlich so viele Stunden mit und bei meinen Mädchen, in meinem neuen Zuhause. Ich bin sehr dankbar hier zu sein. An den Abschied zu denken, tut jetzt schon weh.

Ich sende euch super glückliche Grüße aus Kara und einen guten Start in den Mai und in den hoffentlich kommenden Frühling.

Eure Sophie

hier: im „Viva von Kara“ (aber natürlich im Freien)