Ready for Togo

über meinen Auslandsfreiwilligendienst in Kara

Meinen Mädchen ein Lächeln schenken

Liebe Leser und Leserinnen,

Zur Einleitung meines neuen Blogeintrages möchte Sie auf eine ganz kurze Gedankenreise mitnehmen. Sie müssen nicht die Augen schließen, sondern einfach weiterlesen.

Die Ferien sind vorbei, die Schule hat begonnen. Ganz früh morgens gegen sechs Uhr laufen Sie los und freuen sich auf den Unterricht, denn es ist etwas ganz besonderes, in die Schule gehen zu dürfen. In ihrem Rucksack sind Hefte und ein paar Stifte, vielleicht auch ein Mathe- oder Französischbuch. Um sieben Uhr geht die Schule los und sie haben einen langen Tag vor sich, denn erst um 17 Uhr endet der Unterricht. Viel gelernt, aufgeschrieben und nachgedacht, Sie freuen sich auf den Rückweg und darauf, zuhause anzukommen. Und dann Zuhause: einundzwanzig andere Mädchen, ein Sechserzimmer, keine Mama, die einen in den Arm nimmt, oder ein Papa, der fragt, wie die Schule war. Der tägliche Dienst ruft, entweder kochen, die Toiletten putzen, den Hof fegen oder den Gemeinschaftsraum aufräumen, wenn man mal nichts zu tun hat, stehen Hausaufgaben oder die Wiederholung des Schulstoffes an. Und das jeden Tag!

Vielleicht konnten sich viele von Euch mit dem Anfang der kurzen Schilderung identifizieren, aber sicher nur wenige mit dem Ende.


Herzlich Willkommen zu meinem Blogeintrag über meinen Alltag und das Leben im Mädchenheim

Ich möchte an die kurze Schilderung anknüpfen, denn jetzt komme ich ins Spiel. Ich steige plötzlich vom ein auf den anderen Tag bei den Mädchen in den Alltag ein.

Für mich beginnt der Tag um 5:30, wenn ich, noch etwas verschlafen, aus meinem Zimmer krieche. Zu dieser Zeit sind schon die zwölf Mädchen wach, die auf das Don Bosco Gymnasium gehen, denn der Weg ist lang und die Schule beginnt sehr früh. Es wird geduscht, die Schuluniform angezogen und das Zimmer durchgefegt. Nach und nach machen sich die Mädchen auf den Weg und ich entlasse sie mit einem „bonne journee“ in den Tag. Anschließend wecke ich die Mädchen, die noch etwas jünger sind und zur Grundschule gehen. Da die Schule gleich um die Ecke ist, dürfen sie länger schlafen. Schnell wird sich abgeduscht und angezogen, ein kurzes Gebet gesprochen und ab zur Schule.

Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, die kleinen Mädchen zur Schule zu begleiten, worauf wir uns alle immer riesig freuen. Wenn wir das Foyer Immacule, welches auf dem Weg liegt, passieren, stürmen uns noch 20 Jungs entgegen, die sich fest an die Arme von Jeremias klammern. Zusammen marschieren wir, mit frisch gekauftem Frühstück, zur Schule.

Bis zum allerletzten „Gong“ versammeln sich „unsere“ Kinder um uns herum. Für sie ist es etwas ganz besonderes, dass sie von jemandem begleitet wurden. Sie sind stolz darauf und möchten uns am liebsten mit den Klassenraum ziehen. Wenn der Unterricht dann beginnt und alle in die Klassenräume rennen, winken sie uns, solange es ihnen möglich ist und rufen unseren Namen. Jeremias und ich bleiben solange stehen, bis kein Kind mehr zu sehen ist. Danach gehen wir mit einem schönen Gefühl nach Hause und haben erst einmal viel Zeit bis die ersten wiederkommen.

 

Sharifa, Marie und Sima (Namen verändert) kurz vor Abmarsch in die Schule

… und hier auf dem Weg in die Schule (die Tafel darf auch nicht vergessen werden!)

 

Wenn die Mädchen nachmittags von der Schule nach einem langen Nachhauseweg im Foyer ankommen, wird schnell die Schuluniform ausgezogen und in gemütliche Wickelröcke geschlüpft. Im Gemeinschaftsraum oder auf dem Hof sucht sich jede einen geeigneten Platz, um in Ruhe zu Lernen oder die Hausaufgaben zu erledigen. Vier Mädchen gehen auf die „ecole primaire“, vergleichbar mit der Grundschule bei uns, mit ihnen übe ich das Lesen und das Schreiben. Die etwas Größeren sind oft fleißig am Englischlernen oder wiederholen den Mathestoff. Tatsächlich kann ich bei Aufgaben in Mathe oft nicht weiterhelfen, das ist mir zu anspruchsvoll, ganz besonders auf Französisch. In den ersten Tagen habe ich viel dabei geholfen, Hefte zu beschriften und aus alten Zementsäcken, Umschläge zu basteln.

Während dieser Zeit (es handelt sich um ca. 18:00 – 20:00) halten sich zwei Mädchen dauerhaft in der Küche auf und kochen das Essen für Abends. Meist gibt es Patt (Maisbrei) oder Reis mit einer sehr scharfen Soße, selten gibt es auch Mal Spagetti. Ein anderes Zweierteam ist dafür zuständig, vor und nach dem Essen, den Speisesaal aufzuräumen und herzurichten und ein drittes Team, ist für die Essenausgabe verantwortlich. Nach einem kurzen Gebet stürmen sich dann alle aufs Essen, denn nach einem langen und intensiven Tag haben alle riesigen Hunger! Dabei fliegen dann auch mal richtig die Fetzen, wenn eine mehr hat als die andere.

Ein viertes Duo kümmert sich nach dem Essen darum, die Teller aller Mädchen abzuwaschen, während sich die anderen, Bänke und Decken im Hof für das „Good Night“ bereitstellen. Das Good Night besteht aus einem längeren Gebet, manchmal sprechen die Mädchen frei ein paar Fürbitten. Anschließend ist Roberta an der Reihe. Sie ist eine junge, neue Erzieherin, die zusammen mit mir im Foyer schläft. Vor ein paar Jahren hat sie angefangen hier zu arbeiten und übernimmt immer mehr Verantwortung. Damit entlastet sie die ältere „Maman“, die seit über 35 Jahren für die Kinder im Foyer gesorgt hat, vieles aber nicht mehr alleine schafft.

Auf einem Zettel stehen dann mehrere Punkte, die mit allen Mädchen besprochen werden müssen. Manchmal geht es um das Verhalten beim Essen, wenn die Mädchen sich mal wieder in die Haare gekriegt haben, weil es zu wenig Soße gab. Ein andern Mal werden Ankündigungen gemacht, ob eine Messe oder eine Feier ansteht oder es wird das neue Duschgel präsentiert, was gekauft werden soll für die nächste Zeit. Nach mal mehr und mal weniger intensiven Gesprächen und Diskussionen gehen viele Mädchen ins Bett, andere die am späten Nachmittag einen Dienst ableisten mussten, suchen sich noch ein ruhiges Plätzchen um die Hausaufgaben für den nächsten Tag zu erledigen.

Jeden Tag aufs Neue beeindruckt mich die Disziplin und der Wille beim Lernen. Auch wenn es keine Hausaufgaben gibt (kommt selten vor), fragen sie mich, ob ich mit ihnen auf Englisch lesen üben oder sie in Erdkunde abfragen kann.


Vielleicht haben sich jetzt viele von Ihnen gefragt, was denn das „besondere“ an meinem Alltag und an meiner Aufgabe ist, die ich hier in Kara für ein Jahr machen werde. Ich bin kein Engel. Ich bin nicht besser als die Menschen hier und mehr Rechte habe ich auch nicht. Der Unterschied ist ein anderer: ich bin nicht hier um die Mädchen zu erziehen, sondern um ihnen Aufmerksamkeit zu schenken in einer anderen Intensität, wie es vielleicht den Erzieherinnen möglich ist. Ich möchte unseren Koordinator Wolfgang zitieren:

„Ihr werdet eigentlich nicht gebraucht. Ihr seid nur das Sahnetüpfelchen auf der Torte.“

 

Unter diesem Motto möchte ich meinen Freiwilligendienst absolvieren. Ich lebe mit den Mädchen einen Alltag und habe die Möglichkeit mich einzubringen. Ich möchte sie unterstützen, mit ihnen Quatsch machen, aber in schwierigen Situationen auch für sie da sein. Ich möchte eine große Schwester sein, die versteht, aber auch mahnt. Und zu allerletzt habe ich noch eine Mission, die mein Papa mir am Flughafen mit auf den Weg gegeben hat:

„Schenke den Mädchen die Liebe, die wir dir gegeben haben.“

– und damit habe ich angefangen. Ein Jahr lang habe ich dafür Zeit. Ich werde sicher noch öfter davon berichten, wie ich mich in meinem Foyer eingefunden habe, was ich mit den Mädchen unternehme und wie ich ihnen eine ganz besondere Zuneigung schenken kann. Momentan stecke auch ich noch voll in den Anfängen und bin gespannt auf das, was kommt. Vielleicht wird vieles ganz anders laufen, als ich es mir jetzt noch vorstelle. Aber so wie es kommt, wird es gut für mich sein, auch wenn sich meine Rolle vielleicht in eine andere Richtung bewegt, als ich sie hier beschrieben habe.


Anbei habe ich kleine Gesten aufgeschrieben mit denen ich versuche, den Mädchen ein Lächeln zu schenken:

– Die Hand auf die Schulter legen und einen schönen Tag wünschen, wenn sie morgens aus dem Tor laufen
– Die Mädchen in den Arm nehmen, wenn sie aus der Schule kommen
– mich neben sie setzen und fragen, was sie in der Schule gemacht haben und wie der Tag war
– sie beim Lernen loben
– Ans Bett gehen, „Gute Nacht“ sagen und ihnen einmal über die Wange streicheln

Oder wie es Sophie auch kann, eher auf die lustige Art:

– Eine Grimasse ziehen, während ich zwischen zwei, an der Leine hängenden Handtüchern hindurchschaue
– Auf Musik tanzen, als würde ich es können, obwohl ich es nicht kann
– In meinem neuen Wickelrock, der an den Knöcheln viel zu eng gebunden ist, so schnell laufen, dass ich fast stürze, mich aber irgendwie trotzdem noch auf den Beinen halten kann


Das ist er also mein Alltag oder eher mein „Jeder-Tag-ist-anders“! Jeder Tag ist etwas besonderes und nimmt seinen ganz eigenen Verlauf. Nicht jeder Tag ist leicht, aber jeden Tag bin ich trotzdem wieder dankbar hier zu sein. Diese Möglichkeit, die ich bekommen habe, möchte ich nutzen, um etwas Neues zu erfahren. Und Kraft geben mir ganz viele Freunde aus Mainz, mein Freund und meine Familie, aber am aller meisten, „meine“ Mädchen, für die ich in einer sehr kurzen Zeit unglaublich wichtig geworden bin!

Ich freue mich im nächsten Jahr für euch da zu sein!

Ich grüße Euch aus Togo und sende ganz viel Sonnenschein und Wärme nach Mainz!

Sophie

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  1. Philipp Linn Castaño

    Ich fand den Blockeintrag super, weil du nicht nur deinen Tagesablauf beschreibst, sondern deutlich emotionaler wirst. Durch die schöne Sprache ließt sich der Text sehr gut.

    Philipp Linn Castaño

  2. Echt sehr schön wie du deinen Alltag beschreibst und obwohl es bei mir natürlich ganz anders ist kann ich mich mit Vielem nur zu gut identifizieren.
    Ich bin sicher, dass du alles Bevorstehende bravourös meistern wirst
    Alles Liebe aus Mumbai, Mathilde

  3. Rudi Neu

    Ich war zu Tränen gerührt. Wenn du nach Hause kommst, kannst du bei mir ein weiteres FSJ machen 🙂
    Liebe Grüße
    Rudi

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