Ab Anfang Mai bis zu den Sommerferien Mitte Juni waren wir nochmal ein paar Wochen im Projekt in Khisabavra. Eine sehr intensive Zeit, die gleichzeitig unglaublich schnell dahingeflogen ist – denn schwups di wups war meine Zeit im Projekt dort, das ich ein bisschen als mein Hauptprojekt bezeichnen würde, schon vorbei. Es folgen ein paar Notizen, die ich mir zwischendurch gemacht habe:
Sicher habe ich mich in diesem Jahr sehr verändert und mich weiterentwickelt. Inwieweit kann ich noch nicht so ganz beurteilen, eine Entwicklung konnte ich aber z.B. im Kindergarten gut feststellen. Sehr eng hängt sie mit der meiner Sprachentwicklung zusammen, denn es hat sehr lange gebraucht, hinein zu finden in die Sprache – was ich vorher ziemlich unterschätzt hatte.
Am 01.06.23 schrieb ich dazu:
„Im Winter war ich vor allem Spielkamaradin für die Kinder, habe mit ihnen Luftballon gespielt, gepuzzlet, die Farben gelernt, ihnen ein Taschentuch gebracht. Je weiter ich die Sprache gelernt habe, desto besser konnte ich mit ihnen spielen: Ich erinnere mich an ein Rollenspiel, das gewissermaßen ein Höhepunkt für mich war: Wir haben uns eine Geschichte über Delphine ausgedacht und gespielt. Endlich war ich nicht mehr nur die sprachlose Gefährtin, die vor allem über Körpersprache und Laute kommuniziert. Dann versuchten meine Mitvolontärin und ich allmählich, selber Spiele anzuleiten. Was bei den großen Kindern schon lange klappte, weil sie auch verstanden, wenn wir kein perfektes Georgisch sprachen, stellte sich bei den kleinen viel schwieriger heraus. Zudem hatten wir große Probleme mit der Autorität, wir brachten es kaum fertig, die Kinder in einen Stuhlkreis zu bringen. Mein Tiefpunkt geschah, als ich einmal, als der Lärm einen unerträglichen Pegel erreicht hatte, Ruhe schrie und daraufhin von den Kindern ausgelacht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten mich die Kinder einfach nicht als Autoritätsperson wahrgenommen. Nun endlich, nach nochmal einigen Wochen – und der Auszeit in Akhalzikhe – haben wir es geschafft, dass die Kinder neugierig und aufmerksam sind, wenn wir ihnen ein Spiel erklären oder auch von sich aus fragen, ob wir nicht zusammen „Bello, bello, mein Knochen ist weg“ spielen. Mittlerweile klappt es sogar, dass die Kinder aufräumen, wenn wir es wünschen.
Natürlich besteht ein Teil der Zeit im Kindergarten immer noch daraus, dass ich einfach mit den Kindern spiele. Oft habe ich mich gefragt, ob das überhaupt einen Sinn macht, wo die Kinder doch wahrscheinlich genauso gut allein spielen können. Vor allem am Anfang kam ich mir manchmal so vor, als würde ich einen Spielkamaraden für mich suchen und nicht anders herum.
Jetzt bin ich der Meinung, dass es auch eine Wertschätzung für die Kinder ist, wenn man sich für das interessiert, was sie interessiert, in ihr Spiel miteinsteigt. Wir sind alle begeistert, wenn wir z.B. Tankstelle spielen und ich ständig die kaputten Reifen reparieren muss. Ebenso fühlt es sich richtig an, einem kleinen Jungen, der etwas verloren in der Gegend steht, etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, bei dem ich beispielsweise weiß, dass seine Eltern nicht zu Hause sind.“
Weiterhin schrieb ich:
„Die Englischstunde fand am Ende fast nicht mehr statt und es ist daraus nicht das geworden, was ich mir vielleicht gewünscht hatte. Zwischenzeitlich kamen sehr wenige Kinder nachmittags zu uns, was aber auch auf den Ende des Winters zurückzuführen war. Es waren sehr kleine Schritte, die wir dann versucht haben, zu gehen: Wie mit Kindern, während sie schaukeln, ein englisches Lied einzuüben und sie damit zu motivieren, dass sie ja wahrscheinlich viel besser Englisch sprechen als der Bischof ;)).“
Meine Zeit im Projekt in Khisabavra endete mit dem Pfarrfest, zu dem der Bischof und Menschen aus ganz Georgien kamen. Da wir ein Theaterstück einstudiert haben, war ich sehr beschäftigt und hatte am Ende kaum Zeit, mich von den Kindergartenkindern zu verabschieden.
Dazu schrieb ich am 18.06.23.:
„Die letzten zweieinhalb Wochen hat mich nun ein Theaterstück über „die Auferstehung von Lazare“ auf Trap gehalten, das ich mit den älteren Kindern für das Pfarrfest vorgestern jeden Tag einstudieren sollte. Vor allem die letzten Proben, die ich allein angeleitet habe, waren schrecklich. Auch die Kinder wurden des ganzen sehr müde: Viel zu wenig Disziplin, viel zu langsam kamen wir voran. Ich habe in dieser Zeit leider lernen müssen, sehr laut zu schreien.
Vielleicht haben sich die Proben aber irgendwie doch gelohnt, vielleicht war es ein kleines Wunder, das geschah. Der erste Durchlauf, der ohne grobe Fehler geschah, war zwei Stunden vor der Aufführung. Die Aufführung gelang sehr gut – sogar die gesprächigen alten Georgier*innen verstummten nach einer Minute und schauten aufmerksam zu. Wir waren hinterher alle sehr glücklich und stolz und abends gab es endlich das versprochene Eis für alle.
Besonders toll war danach, dass ich nicht mehr die strenge spielen musste und so abends mit den Kindern aus der Küche Torte klauen konnte :)).“
Zum Schluss ein Eintrag vom 10.06.23:
„Was mir in Khisabavra umöglich erscheint, ist die Trennung zwischen Freizeit und Freiwilligen-Dienst. Viele Erlebnisse, Erfahrungen, die ich auch zu meinem Freiwilligendienst dazu zählen würde, finden außerhalb der Einrichtung statt. Zum Beispiel wenn ich nachmittags noch einen Spaziergang mit Kindern machen, wir beim Kartoffelsäen helfen oder wir Kinder und Bekannte zu Hause besuchen. Ich würde das Aufmerksamkeit-Schenken auch in unseren Dienst mit hineinzählen. Gleichzeitig bekomme ich dadurch unglaublich wertvolle Erfahrungen und kenne mittlerweile auch Geschichten von den Menschen im Dorf. Es sind auch intensive Erfahrungen für mich, weil es Armut und tragische Schicksale gibt. Die Begegnungen geben mir sehr viel zurück und ich habe Freundschaften geschlossen. Mir wurde gesagt, „du bist jetzt auch ein Teil des Dorfes“: Ich bin dankbar für diese Worte, denn ja, der Ort und besonders Menschen hier sind mir sehr wichtig geworden. Ich bin dankbar für die Menschen hier, die uns von Anfang an sehr willkommen geheißen, uns zu sich nach Hause eingeladen haben und diesen Aufenthalt hier so wertvoll haben werden lassen. Es ist ein Stück Heimat für mich geworden“
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