Als ich im September in Cotonou ankam wurde mir als Vormittagsarbeitsstelle das Maison du Soleil zugeteilt. Bis Mitte Januar arbeitete ich dort. Gerne möchte ich euch aus dieser Zeit erzählen.

Fakten

Das Maison du Soleil (französisch für Haus der Sonne) ist eine Einrichtung für minderjährige Mütter und ihre Babys. Die Mütter sind Opfer von sexueller Gewalt geworden oder wurden aufgrund ihrer Schwangerschaft von ihren Familien verstoßen. Im Maison du Soleil (MS) finden sie einen Zufluchtsort, ob noch schwanger oder schon mit Baby können dort dreizehn junge Frauen aufgenommen werden. Die Einrichtung gibt es seit 2011. Seitdem wurden bereits über 100 Mädchen mit ihren Babys aufgenommen. Nach ihrer Ausbildung wurden annähernd alle wieder erfolgreich in ihre Familien integriert. Im Schnitt werden pro Jahr ca. 20 Mädchen aufgenommen. Seit 2014 wird die Einrichtung von „Manos Unidas“ und „Médecins du monde“ als größte Organisationen unterstützt. Seit August 2016 befindet sich das MS in einem neuen Gebäude mit perfekter Lage. Es liegt seither direkt neben dem „Maison de l´Espérance“, dem Ausbildungszentrum der Don Bosco Schwestern. Dort machen alle jungen Mütter, bis auf wenige Ausnahmen, eine 9-monatige Ausbildung. Der Name „Haus der Sonne“ ist hier wirklich Programm. Zum Eingangstor herein gekommen geht die Sonne auf.

Das Haus

Das Haus besteht aus dem Erdgeschoss hier befinden sich die Zimmer der Mädchen, die Küche, die Bäder und ein großer Raum, mit Platz zum Spielen und Schlafen für die Kinder, Esstisch für die Mädchen und kleinem Kindertisch für die Babys. Im 1. Stock befinden sich das Büro der Sozialarbeiter, weitere zwei Betten für die Mädels und ein großer Raum für Besprechungen und Weiterbildungen. Außerdem gibt es auf dem Grundstück noch ein kleines separates Haus, indem sich das Büro des Direktors, das Büro der Krankenschwester und der Klassenraum für die Alphabetisierung der Mädchen befindet. Vor dem Haus gibt es eine kleine Grünfläche mit einer Babyschaukel und einer kleinen Hütte mit Rutsche. Gerne sprang ich barfüßig mit den Kindern über das Gras, erinnerte mich das doch sehr an meine Kindheit bei mir daheim im Garten. Zum Schlafen gibt es vier Zimmer, das „chambre rose“, „chambre vert“, „chambre jaune“, „chambre orange“. Das ganze Haus ist orange und gelb gestrichen und die Möbel sind alle in rosa, gelb, grün und orange gehalten. So ist das Erscheinungsbild sehr freundlich und macht es auch wörtlich zu einem Haus der Sonne.

Personal

Betreut werden die Mädchen hier von einem Team aus Erzieherinnen, sodass rund um die Uhr eine Betreuerin vor Ort ist. Immer erreichbar ist die einrichtungseigene Krankenschwester. Allgemein kommt das Maison du Soleil für die medizinischen Kosten z.B. für Medikamente für Mütter und Kinder auf. Fofo Clément, der Psychologe des Hauses, ist mit seiner offenen und warmen Art im ständigen Austausch mit den Mädchen. Häufig haben die Mädels die Schule nicht beenden können, deshalb wird ihr Bildungsniveau regelmäßig im Alphabetisierungsunterricht gesteigert. Die Sozialarbeiter versuchen in Kontakt mit den Familienangehörigen zu bleiben oder zu treten, denn das Ziel ist die Mädchen mit ihren Babys wieder in die Familien zu reintegrieren. Der Direktor hat den Überblick über die Einrichtung. Er ist Muslime fordert trotzdem jedes mal zum „Vater Unser“ beten vor der wöchentlichen Personalbesprechung  auf. Sehr bewundernswert!

Meine Babys

Die Babys waren mein Aufgabenbereich in meiner Einsatzzeit von September bis Januar im Maison du Soleil. Dazu gehörte es wenn ich morgens um acht kam alle gemeinsam mit meinen Kolleginnen schlafen zu bringen und sie zweimal den Vormittag über zu füttern. Bei der einstündigen Aktivität am Nachmittag wechselte ich mich mit der Gestaltung mit einer französischen Praktikantin ab. Wir sangen viel gemeinsam, tanzten, machten Sport und hatten viel Spaß beim Spielen mit Luftballons, Seifenblasen …

 

Und nun stelle ich euch meine Babys mal vor:

 

 

Samuel* (10 Monate): Mein Sonnenschein. Er hat ein Lachen, das mich jeden Tag verzauberte. Samuel hat es aber auch ein zu setzen gewusst. Ich konnte ihm, egal was er angestellt hatte, einfach nicht böse sein.

 

Prisca (1 ¾ Jahre): Die Kleine machte immer sehr viel Geschrei beim Füttern. Schon um halb elf als ihre Mutter, die eine Bäckerlehre machte, zum Stillen kam schrie Prisca viel. Jeden Tag bekamen alle Kinder vor dem Mittagsschlaf einen Brei aus Maismehl gefüttert. Auch dazu machte sie immer viel Lärm statt zu essen. Wenn ich sie fütterte dachte ich anfangs noch, dass ihr Verhalten an mir liegt. Auch Babys, die bei den anderen Erzieherinnen nicht schrien, ließen sich von mir kaum den Löffel in den Mund geben. Schon nach wenigen Wochen hatten sich fast alle Babys an mich gewöhnt und meistens funktionierte das Füttern. Nur mit Prisca war es schwierig. Aber auch wenn die anderen Erzieherinnen sie fütterten schrie sie viel. Während meiner Zeit im Haus begann sie irgendwann sich an allem hoch zu ziehen was ihr in die Hände kam und so hat sie Schritt für Schritt 😉 das Laufen gelernt. Ich war unglaublich stolz als sie von alleine stand und dann sofort tanzte.

Luc* (1 ½ Jahre): Luc kam gerne zwischendurch einfach mal auf meinen Schoß und hat sich in meinen Arm gekuschelt. Nach ein paar Minuten ist er wieder aufgestanden und hat mit seinen kleinen Freunden weitergespielt.

 

Melissa* (1 Jahr): Die Schönheit des Hauses. Beim Essen hat sie immer fast das Doppelte im Vergleich zu Gleichaltrigen gegessen. Beim Schlafen bringen war es immer ein Kampf. Melissa war einfach zu neugierig und wollte nichts verpassen, deshalb wollte sie nicht schlafen. Immer hat sie alles genau in ihrer ganz ruhigen Art beobachtet.

 

Louise* (1 ¾ Jahre): Ihre Mama hat die Ausbildung schon beendet lebt aber trotzdem noch im MS. So ist ihre Mutter auch tagsüber immer da gewesen und kümmerte sich um Louise. Von der fast 2-Jährigen ist mir besonders ein Erlebnis in Erinnerung geblieben. Es war ein Dienstagmorgen im Dezember, einer der sehr sehr seltenen Tage an dem ich einfach mit dem linken Bein aufgestanden bin. Auf dem Weg zur Arbeit erwischte ich noch einen Zem (Mototaxi), der den Weg nicht kannte und mich zum falschen Ort brachte. Endlich angekommen im Maison du Soleil kam ich durch das Eingangstor und Louise stand an der Tür. Als sie mich sah, lächelte sie und streckte mir ihre Arme entgegen. Ich nahm sie auf den Arm und wir gingen gemeinsam in das Haus. Augenblicklich war ich wieder gut drauf und der Tag konnte weiter gehen.

David* (8 Monate): Er war der Kleinste als ich ins Maison du Soleil kam. Woche für Woche nahm er mehr war. Er begann auf seinen Namen zu reagieren und kräftig zu lachen wenn man mit ihm sprach. Ich durfte mithelfen ihm „das Sitzen zu lernen“. Ganz anders als es mir meine Mutter aus Deutschland erklärt hat, wird hier den Babys bevor sie sich drehen oder fortbewegen können das Sitzen gelernt. Immer wieder wurde David aufgesetzt und zwischen die ausgestreckten Beine eines Erwachsenen positioniert, damit er nicht so leicht umfällt. So hat er tatsächlich gelernt sitzen zu bleiben, allerdings ohne sich von selbst aufsetzen zu können.

Anne* (2 Monate): Als ich ankam war Claudine*, ihre Mutter, noch schwanger mit ihr. Sie war dann im Dezember das erste Neugeborene während meiner Zeit im MS. Nach einigen Tagen im Krankenhaus kamen Mutter und Kind für zwei Wochen zu uns. Anschließend konnten die Zwei für 14 Tage zur Familie der Mama. Nach einem Monat Erholung konnte Claudine mit ihrer Ausbildung in der Seifenmanufaktur weitermachen. Die kleine Anne hatte für ein Neugeborenes sehr viele Haare und war sehr süß. Unterm Tag war sie ab dem ersten Tag als sie aus dem Krankenhaus zurückkam, genauso wie die anderen Babys,  zum Schlafen bäuchlings auf einem Stoff auf dem Boden gelegen.

Pamela (2 ½ Jahre): Ein besonderer Fall: Ihre 18-jährige Mutter ist im Juli 2017 aus dem Maison du Soleil weggelaufen und ließ ihr Kind alleine zurück. Pamela war allen sehr ans Herz gewachsen und die Verantwortlichen und die anderen MS-Mädels wollten sie nicht einfach in ein Heim geben. So wechselten sich die jungen Mamas mit der Verantwortung für das Kleinkind z.B. mit dem ins Bett bringen oder Wäsche waschen wochenweise ab. So konnte das Kleinkind übergangsweise weiter in der Einrichtung wohnen bleiben. Für das Nötigste wurde für Pamela gesorgt, jedoch fehlte ihr die mütterliche Nähe und manchmal etwas Aufmerksamkeit. Gelegentlich versuchte sie sich das zu holen, aber ich konnte die Kleine auch zu gut verstehen. Immer nahm ich sie besonders gerne in den Arm und sah wie sie es genoss. Am Vormittag setzte ich mich immer neben sie um sie zu füttern. Gut kann ich mich an eines der ersten Male erinnern als ich ihr das Essen gab. Es gab Fisch. Sorgfältig versuchte ich den Fisch von den Gräten zu lösen und dem bis dahin für mich noch unbekannten Kleinkind in mundgerechten Stücken zu füttern. Sie kaute den Fisch, hielt kurz inne und verdrehte die Augen. Sofort rutschte mir das Herz in die Hose, ich vermutete eine Gräte in ihrer Luftröhre. Ich klopfte ihr auf den Rücken, holte Wasser und schwor mir schon den Kindern nie wieder Fisch zu geben. Nach einer Weile schluckte Pamela den Fisch und forderte die nächste Gabel.  Es war einfach eine Art wie sie manchmal schaute, wie mir die anderen Erzieherinnen dann etwas schmunzelnd über meine aufgeschrekte Reaktion erklärten.

Maurice* (9 Monate): Der kleine Mann wurde von allen nur „Chouchou“ genannt. Ein paar Wochen vergingen bis ich seinen wirklichen Namen kannte. Oft hatte er seinen Mund offen stehen. Immer wieder wurde er ihm zugedrückt. In Benin wird es nämlich sehr verachtet wenn man seinen Mund ständig offen stehen lässt.

Flora* und Angela* (3 Jahre): Die beiden Zwillingsmädels brachten immer viel Schwung ins Haus. Sie liebten es auf die Musik zu tanzen, im Garten Eidechsen zu suchen und ihnen nach zu rennen und waren unglaublich besorgt um die anderen Babys und um ihre jeweilige Zwillingsschwester. Ihre Mutter erhielt das Diplom für ihre Ausbildung im Maison de l’Espérance in der Seifenmanufaktur im Dezember. Daraufhin konnten sie zur Familie der Mutter zurück um dort zu leben. Die beiden haben mir einen der bisher schönsten Momente in meinem Freiwilligendienst beschert. Zwei Monate nach ihrem Auszug kamen Mutter und Kinder zu Besuch. Ich war an meiner neuen Arbeitsstelle dem Ausbildungszentrum.

.. Flora-Erkennt ihr den Unterschied ? Zugegeben! Bei mir hat es auch eine Weile gedauert. 😉

Angela und…

Die Drei liefen an mir vorbei, ich habe mich sehr gefreut sie zu sehen und war gespannt wie es ihnen geht. Als mich die kleine Flora sah rannte sie lachend auf mich zu. Sie hatte mich also nach zwei Monaten wiedererkannt! Sie hatte einen Keks in der Hand und lud mich, wie es sich hier gehört, zum gemeinsamen Essen ein. Nun kam auch Angela angelaufen und wollte auf meinen Arm. Ich war sehr gerührt, weil mir die beiden bewusst gemacht haben, dass auch meine Arbeit bei den Babys und Kleinkindern wichtig war und ihnen gut getan hat.

Jonas* (3 Jahre): Mein Ehemann. Seine Mama wohnte nicht im Haus macht aber im Maison de l’Espérance eine Küchenausbildung, deshalb kam Jonas einige Tage in der Woche zur Betreuung. Sobald ihn seine Mutter alleine im Maison du Soleil ließ, begann er zu weinen. Von niemandem ließ er sich trösten außer von mir. So folgte er mir an den Tagen an denen er da war auf Schritt und Tritt, ließ sich von keiner anderen Erzieherin wickeln oder schlafen bringen. Mittags wenn ich zum Mittagessen ging, fing er dann wieder das Weinen an. Jonas wurde deshalb von meinen Kolleginnen als mein Ehemann bezeichnet.

Ihr könnt sehen, ich habe die Babys aus dem Maison du Soleil sehr in mein Herz geschlossen. Sie haben mir wunderschöne Momente beschert und ich konnte viel im Umgang mit Kleinkindern lernen.

Die Mütter

Von den Müttern habe ich sehr großen Respekt. In den ganz stillen Momenten haben mir manche von ihnen einen Einblick in ihre Geschichte gegeben. So haben viele der Mädchen einen Ehemann (meist Zwangsehe), sie wurden teilweise aus ihren Familien verstoßen oder vergewaltigt manchmal sogar von Familienmitgliedern. Alle vereint, dass sie eine Geschichte haben mit der es nicht leicht ist das eigene Kind zu lieben. Alle Mütter waren noch sehr jung und müssen trotzdem schon die Verantwortung für ihr Baby tragen zum Großteil ohne die Unterstützung der Familie.

Der monatliche pädagogische Ausflug

Ausgelassener als im Ausbildungsalltag unter der Woche durfte ich die Mädels beim monatlichen pädagogischen Ausflug erleben. Diese Ausflüge liefen so ab: In ihren schicksten Kleidern saßen die Mütter mit ihren Kindern auf dem Schoß in einem Kleinbus. Ein Bus für ca. 15 Erwachsene und 10 Kinder. Zum Vergleich in Deutschland hätte ein Bus dieser Größe ca. 10 Sitzplätze. Bei der Abfahrt wurde zuerst gebetet und dann richtig gefeiert. Auf der Fahrt wurde immer getrommelt, gesungen und ganz viel gelacht. Ziel waren kulturelle Einrichtungen wie der Königspalast in Porto-Novo oder, mein absolutes Highlight, eine Schildkrötenauffangstation in Grand-Popo. Nach einem gemeinsamen Mittagessen wurde dann etwas ruhiger, weil alle müde waren, die Rückreise angetreten. Jedes Mal sah ich wie es die Mädel genossen etwas Neues zu sehen und einen Ausflug zu machen.

Liebe Leser, ich freue mich wenn ihr bis hierher durchgehalten habt. Irgendwie musste ich die Erlebnisse von meinem vier monatigen Einsatz im Maison du Soleil in einen Eintrag bringen. Mittlerweile bin ich schon fast wieder am Ende der Zeit meines Einsatzes im Ausbildungszentrum auch darüber erwartet euch bald wieder ein langer Eintrag 😉.

Genießt die Frühlingstage!

Herzliche Grüße aus Benin

Marie-Luise

 

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