Nach einigen Anfangsschwierigkeiten hat für Manuel & mich nun auch unsere geplante Arbeit im Projekt CAPRE begonnen. Diesen Blogeintrag möchte ich meiner Zeit im CAPRE widmen, da es definitiv eine Erfahrung fürs Leben war! 🌟
Allerdings habe ich nach zwei sehr intensiven Wochen entschieden, das ich diese Zeit gern beenden möchte. Um ehrlich zu sein fehlt es mir noch sehr schwer mein Erlebtes in Worte zu fassen, irgendwo schmerzt es sogar ein wenig.
Vermutlich wird dieser Eintrag etwas düsterer als hoffentlich alle anderen, da eben Themen wie Gewalt, Krieg, Waffen … eine Rolle spielen werden. Ich möchte hiermit auch nicht zeigen wie „kacke“ ich das Projekt finde, sondern ganz einfach meine Erfahrungen bzw Erlebnisse teilen. Alles war keineswegs schlecht …
– Aber ersteinmal ein paar Worte über das Projekt –
Allgemein bietet das Programm CAPRE – «Construyendo Sueños» ca. 75 Jugendlichen, Mädchen als auch Jungs im Alter von 14 -18 Jahren einen Platz, die von bewaffneten paramilitärischen Gruppen und kriminellen Banden (Bacrim) losgelöst bzw geflohen sind.
Aus Erzählungen habe ich mitbekommen das viele Mädels den Bewegungen zum Opfer fallen und zum kämpfen gezwungen werden, währenddessen sich die Jungs häufiger aus Eigeninitiative für das Kämpfen entscheiden.
Die meisten kommen aus sehr ländlichen Regionen des Landes (z.B. Amazonas) und gehören verschiedenen Ethnien an, wie Afro- und Ureinwohnern. Viele sprechen daher auch indigene Sprachen, sie sich ziemlich vom Spanischen unterscheiden.
Hier ein kleiner Einblick von einem ehemaligen Volo auf YouTube
https://youtu.be/8xFMDJbIfLQ
In unser ersten Woche gab es keinen Unterricht, da einige Jugendliche bei denen es möglich war, ihren Familien besuchen konnte, wobei die Mehrheit im CAPRE geblieben ist. Aus Erzählungen hat sich ergeben, dass viele keine Familienangehörige haben bzw. im Moment nicht in ihre Heimat können, da dort ihre ehemaligen Guerillatruppen aktiv sind und diese die Jugendlichen finden & sie höchstwahrscheinlich umbringen würden.
Daher haben wir es zu unsere Aufgabe für die Woche gemacht die Jugendlichen ersteinmal kennenzulernen und mit ihnen Aktivitäten zu unternehmen.
Bereits als ich das erste Mal im CARPE war, habe ich die Stimmung ganz anders erlebt als ich es aus dem Internat kannte. Während die Jungs in der Ciudad super aufgeschlossen sind und einen freudestrahlend begrüßen, haben sich die Jungs & Mädels aus dem CARPE anfangs ziemlich distanziert verhalten und uns zwei erstmal ordentlich unter die Luppe genommen 🧐 Mit der Zeit haben sich zumindest einige Jungs öffnen können, wobei die Meisten sich eher mit Manuel unterhalten haben, weil ich ganzeinfach immer wieder von Themen wie Krieg, kämpfen (eigentlich alles was mit Gewalt zu tun hat) Abstand genommen habe. Letztendlich haben sich genau diese Themen als ihre Interessen herausgestellt :/ Einen Zugang zu den Mädels zufinden hat sich leider noch schwerer gestaltet, da die meisten überhaupt nicht offen für Gespräche waren und schnell Abstand gesucht haben. Und ehrlich gesagt kann ich ihre Reaktionen auf meine Versuche ein Gespräch anzufangen aufgrund Erfahrungen aus ihrer Vergangenheit nachvollziehen!
Drei Worte die meiner Meinung nach die Stimmung Vorort beschreiben:
frustriert, gleichgültig & unglaublich abgestumpft
Insgesamt hat es sich für Manuel und mich ziemlich schwierig gestaltet die Jugendlichen zu Aktivitäten zu motivieren. Die Meisten hingen in irgendwelchen Ecken auf dem Boden, haben geschlafen oder sogar ins Leere gestarrt. Alternativ wurden von den Betreuern tatsächlich Kriegsfilme angemacht. Auf unsere Aussage das wir es nicht cool finden, das sie diese Filme schauen bzw die Frage warum, kam die Antwort, sie bräuchten diese um ihre Erlebnisse verarbeiten zu können … – unkommentiert Manuel & ich waren ziemlich entsetzt als uns gesagt wurde, das sie in der Einrichtung nicht einmal einen Fußball haben. Aus Verzweiflung haben wir beschlossen ein Ball aus unserem Volohaus, unsere Stifte & Blätter mit ins CAPRE zu nehmen, damit wir überhaupt die Möglichkeit haben, etwas anderes unternehmen zu können als Kriegsfilme mit ihnen zu schauen. Die Teilnahme an Aktivitäten in dessen Vorbereitung vorallem Manuel viel zusätzliche Zeit hineininvestiert hat, ist leider ziemlich gering ausgefallen, sodass wir es meiste Zeit mit Gesprächen versucht haben. Besonders unangenehm wurde für mich tatsächlich das Verlassen der Einrichtung, einfach weil uns immer ein Betreuer das Tor aufschließen musste, damit wir rauskommen. Es hat sich jedesmal aufs Neue seltsam angefühlt einfach in die „Freiheit“ gehen zu können, während die Jugendlichen hinter den Gittern saßen und uns dabei zugesehen haben.
Den letzten Tag meiner Arbeitswoche habe ich ohne Manuel verbringen müssen, da er leider krank war. Ich muss ehrlich sagen, ich hatte ziemlich Respekt vor dem Tag!!
Schon auf meiner Busfahrt habe ich direkt spüren können das ich eben allein als hellhäutige offensichtliche Europäerin unterwegs war. Neben komischen Blicken, weil ich zu groß für viele der kolumbianische Busse bin, nicht aufrecht stehen kann und erst gar nicht in die Sitze passe, gabs auch eine sehr unangenehme Konversation mit einem jungeren Mann. Dieser meinte das er mich auch schon in der Früh an der Bushaltestelle beobachtet hatte und den ganzen Tag auf mich gewartet hat, um mich nachmittags nach meinem Namen zu fragen, mir zu sagen das er mich hübsch findet und Zitat: um mich nach Hause zu begleiten. * *War übrigens das erste Mal hier das ich wirklich extrem Angst hatte, weil ich nicht so ganz wusste wie ich in den Typen loswerde 😬Problem wurde gelöst, indem ich mich von der Bushaltestelle von Leo & Mathias abholen lassen habe.
Das erstmal nur zur Situation um meinen Arbeitstag drumherum!
Auch die Jungs im CAPRE haben sich mir gegenüber ganz anders verhalten als sonst. Ich hatte das Gefühl das Manuel der jenige war, der auf mich acht gegeben hat. TJA, jetzt war er eben nicht da und schon haben sich einige Jungs deutlich mehr erlaubt als mir lieb war.
Unangenehme Fragen, Aussagen und definitiv zu naher Körperkontakt. Unteranderem habe ich die Frage bekommen ob ich mir einen Kuss auf den Mund geben lassen kann. Mein NEIN wurde so gar nicht akzeptiert, sodass ichs übermich ergehen lassen musste. Leider war auch kein Betreuer in der Nähe und nachdem ich es einem Betreuer gesagt habe, das ich mich unwohl und bedrängt fühle, kam nur die Ansage: „Ich habs nicht gesehen!“
Unsere Gespräche sind erneut wieder auf das Thema Krieg hinausgelaufen. Jedenfalls habe einfach mal meine Fragen, die mir so durch den Kopf geschwiert sind gestellt, u.a. wie ihr Alltag aussah. Als Antwort auf diese Frage kamen genau zwei Worte: luchar y matar (kämpfen und töten)
Mein Gedanke in dem Moment, das ich gerade vier Jungs (alle maximal 3Jahre jünger als ich) um mich herum sitzen habe, die höchstwahrscheinlich mehr als einen Menschen umgebracht haben, war unglaublich schwer zu ertragen. Es war für mich überhaupt nicht vorstell-/ realisierbar als sie mir erzählt haben welche Waffen sie den gesamten Tag mit sich getragen haben.
Zwei der Jungs waren dann auch so offen haben mir von ihrer Flucht aus der ELN (Ejército de Liberación Nacional – marxistisch orientierte Guerilla-Bewegung) erzählt. Bei der Vorstellung, das die Beiden im August, als ich mit meinen Freunden meinen Abschied gefeiert habe, nicht wussten ob sie die nächsten Tage überleben werden, ist mir ganz anders geworden.
Während des Gesprächs ist einer der Jungs, der bei mir saß aufgestanden und kam dann etwas später mit einem blauen fast blutigen Auge wieder. Er hat sich ganz entspannt wieder neben mich gesetzt als ob nichts passiert wäre … Aus europäischer Sicht schon verständlich das ich nachgefragt habe was passiert ist, oder?! Ich wünschte ich es nicht gemacht 😬
Nachmittags hatte wieder einer der Betreuer den TV angemacht. Ich hatte vorgeschlagen das wir Musik hören können, was anfangs nicht schlecht ankam. Tatsächlich waren einige auch an meiner Musik, die ich so mag interessiert 🎶✨️ Leider hatten sich dann recht schnell die Themen der Songs wieder in Richtung Gewalt, Krieg etc entwickelt
Insgesamt haben sich dann deutlich mehr Jugendliche integriert, sodass meine Vorschläge demokratisch abgelehnt wurden. Ende vom Lied, wir haben uns wiedermal angeschaut wie sich Menschen gegenseitig die Köpfe abschlagen (um es mal etwas armloser auszudrücken als es war)
An dieser Stelle fand ich meine eigene Entwicklung auch ziemlich spannend. Anfangs meiner Zeit im CAPRE haben mich besonders die Jungs verwirrt angeschaut, wenn ich bei solchen Inhalten nicht hinsehen konnte. Und jetzt zwei Wochen später saß ich abgestumpft davor… Irgendwo empfand ich es gar nicht mehr so schlimm. Bis noch eine Situation dazu gekommen ist…
Was keiner gesehen hatte, war ein Junge der im Hintergrund die schon sehr hohe Mauer hochgeklettert war, um letztendlich abzuhauen. Ich hatte mich genau in dem Moment umgedreht als er von der Mauer springen wollte, aber mit seinem Füß oben im Stacheldrahtzaun hängengeblieben ist. Soviel Blut habe ich in meinem Leben noch nie gesehen …
Nach dieser Situation habe ich nicht gefragt ob ich gehen kann, sondern ich meinte das ich gehen werde! Es hat etwas Zeit & Hilfe gebraucht es selbst zu verarbeiten. Ich hab schnell mit Laura (unser Vololeiterin Vorort) darüber gesprochen und wir haben gemeinsam die Entscheidung getroffen, das wir für mich definitiv eine passendere Stelle im Internat finden werden.
Es hat mir schon irgendwo wehgetan im Nachhinein mitzubekommen, dass ich aus der Sicht der Betreuer einfach zu schwach für diese Aufgabe war. Aber besonders diese Aussage hat mich nocheinmal in meiner Entscheidung bestärkt.
Was ich mir aus der ganzen Sache mitnehme … (was ich übrigens als einen positiven Gedankenanreiz für mein späteres Arbeitsleben sehe😉)
Ich erwarte kein Verständnis für mein Empfinden oder was auch immer, aber soetwas wie Respekt mir als Person gegenüber sollte meiner Ansicht nach schon drin sein! Wenn Menschen das nicht aufbringen können, dann sehe ich mich ganz einfach nicht an diesem Ort. An diese Stelle habe ich einfach mal meine persönliche Grenze gesetzt & mit einem dicken schwarzen Marker einen Schlussstrich gezogen!
Und besonders Freunde des Deutschen Bundes, kein Mensch auf dieser Welt ist schwach, weil er Emotionen oder Schwäche zeigt. Ich halte es eher für emotionale Intelligenz – eintausend Ausrufezeichen
Und weil Johanna ihre Erlebnisse gern in Form von Gedichten verarbeitet, folgt zum Abschluss direkt mal eins …
NARBEN DER KINDHEIT
Kinder im Schatten, verwundet und still,
sie marschieren und kämpfen, weil man es so will.
Ihre Träume verwelkt, die Herzen erfroren,
die Kindheit verloren, die Hoffnung verloren.Ihr Leben begann, doch die Kindheit verging,
als ein Befehl kam und das Schicksal verfing.
Sie tragen Gewehre statt Träume im Blick,
und jeder Schritt führt sie weiter zurück.Gefangene der Waffen, im Dunkel versteckt,
von Schreien und Schüssen die Nächte geweckt.
Sie laufen in Reihen, so stumm, so befehlt,
das Leben verdunkelt, das Leben gequält.Ein Leben im Kampf, die Kindheit verbaut,
im Innern ein Kind, das leise nur schaut.
Was bleibt von den Jahren, die keiner ihnen gibt,
von Wunden, die niemand mehr heilt oder liebt?Was ist eine Kindheit im Kriegsmaschinenlauf,
wenn der Tag mit Gewehren und Verlust hört auf?
Doch tief in den Augen, da leuchtet ein Rest,
von Hoffnung, vom Frieden, vom Heimatnest.Diese Narben, sie heilen, doch bleiben sie da,
als stumme Zeugen von dem, was geschah.
Und wenn sie erwachsen sind, bleibt doch ein Teil,
das stets an die Schrecken und Dunkelheit fiel.Mögen sie heimkehren, wenn der Krieg einst vergeht,
wenn die Welt ihre Wunden mit Menschlichkeit näht.
Für die Kinder, die kämpfen, die unschuldig leiden,
möge die Welt sich zum Frieden entscheiden.
¡Hasta pronto! Muchos saludos de Colombia 🇨🇴🌞
Johanna
Schreibe einen Kommentar