Wo kommen die Straßenmädchen am Prado in Medellin eigentlich her und warum ist die Straße immer noch attraktiver als das Leben zuhause?
Die Antwort auf diese Frage habe ich in den letzen Tagen gesucht. Mit Prof. Weber und Sor Sara von den Don Bosco Schwestern bin ich gefühlt durch ganz Medellin gelaufen. Da wäre zum Beispiel das Viertel (hier sagt man Barrio) San Antonio. Noch im Jahr 2000 war dies ein extrem gefährliches Pflaster und trug mit dazu bei, dass Medellin die weltweit höchste Mordrate aufwies. Unglaublich aber wahr: mehr als 60% aller jungen Männer in diesem Viertel fielen der „violencia“ zum Opfer. Zum Beispiel die Familie von John. John war lange Jahre Leiter des Straßenkinderzentrums Patio Don Bosco. Er selber war ehemaliger Straßenbewohner. Seine drei Brüder wurden allesamt erschossen. Einer war selber Bandenführer, ein anderer tief in den Drogenhandel verstrickt. Heute kann man durch das dicht an den Berg geschmiegte Viertel wunderbar zu Fuß nach unten wandern. Ein Geniestreich war die Errichtung der Seilbahn, die zur Metro gehört. Viel wurde außerdem für das Viertel getan, zum Beispiel eine moderne kostenlose Bibliothek in einem interessanten Design. Doch als wir mit ein paar jungen Männern sprechen, die scheinbar arglos auf einer Bank über den Backsteinhütten und –Häuschen thronen, wird deutlich, dass sich vielleicht das Viertel verändert hat, nicht aber deren Perspektive. Alle sind sie arbeitslos. Das alle irgendwie mit Drogen zu tun haben, ist mehr als wahrscheinlich.
Das andere Metrocable führt uns hoch über die berüchtigte Communa 13. Hier hat sich trotz groß angelegter Militäraktionen nicht allzuviel getan – auch wenn es weniger Gewalt gibt, doch Drogen, familiäre Probleme und bittere Armut sind geblieben. Einige der Hütten erinnern mich an Port au Prince (Haiti) andere könnten irgendwo im ländlichen Afrika stehen. Müll säumt die steilen Hänge, an denen sich die windschiefen Bretterbuden dicht an dicht
drängen. (Bild: Straßenmädchen am Prado aus der Communa 13)
Fast nur schwarze Kolumbianer leben hier- und ein Gang zu Fuß kann man vielleicht mit einer Sor Sara in ihrem Schwesterngewand wagen- sollte es aber besser auch dann nicht tun. Je höher desto ärmer lautet die Devise.
Viele Bewohner der Barrios sind Vertriebene, deren Land heute für den Kokainanbau genutzt wird. Oder aber sie flohen vor Kämpfen zwischen Guerilla und Paramilitärs. Als ländliche Campesinos kommen sie in eine Großstadt wie Medellin und versuchen an ihrem bäuerlichen Leben festzuhalten. Ich sehe tatsächlich Bananenstauden zwischen Müll und Elektroschrott, es gibt aufgeschnittene Plastikfalschen in denen Kräuter gezogen werden. Der Zusammenprall zweier Welten.
Ein anderes Barrio, dass ich einmal von der Metro, vom Bus und vom Auto aus näher betrachte ist Moravia- gebaut auf einer ehemaligen Müllkippe mitten in der Stadt. Weil sich hier keiner außer der berüchtigte Boss des Medellin Kartells kümmerte, heißt das Viertel auch Pablo Escobar. Zwei der Mädchen vom Babystrich kommen daher. Tatsächlich, das Stundenhotel , dass wir mit der von Klebstoff zugedröhnten Liliana besuchen, ist auch nicht viel schäbiger als die Behausungen in Moravia. Fragt man die Mädchen warum sie es zuhause nicht mehr aushielten, wird der Blick finster und verschlossen. Sexueller Mißbrauch und furchtbar viel Gewalt sind wohl die Gründe, die hinter „no me gustas“ stecken.
Der Journalist der KNA, Tobias Käufer den ich eingeladen hatte uns zu begleiten erzählt mir, dass der Sänger von Aerosmith, Steven Taylor, in einem Interview freimütig zugab, in seinem Leben bisher Kokain zwischen sechs und unglaublichen 14 Millionen Dollar konsumiert habe. Ich folge Tobias Gedanken… Wie viele Tote in der Communa 13, in Moravia und in San Antonio wohl auch dafür bezahlt haben? Wie viel Gewalt und Elend der Drogenhandel und der Konsum auch bei uns in Deutschland über Kolumbien gebracht haben, ist kaum fassbar. Die Mädels vom Babystrich in Medellin sind nicht nur Opfer ihrer kaputten Familien sondern auch dieser Verhältnisse. Und der Kreis schließt sich. Alexa, Daniela, Liliana, Lina, und Marianna nehmen alle Drogen die sie kriegen können…
Ps. Spenden mit Stichwort Patio13 zaubern ein wenig Abwechslung in den Alltag der Straße. Bei dieser Kooperation organisieren angehenden Lehramtsstudentinnen eine Art Straßenschule und beschäftigen sich mit den Kindern. Wenn wieder genug Geld beisammen ist, soll es auch wieder Ausflüge aufs Land geben. Spenden an www.donboscomission.de
Dieser Text wurde von Ulla Fricke, Leiterin der Abteilung Bildung un Kommunikation der Don Bosco Mission, Bonn (zur Zeit in Medellin) verfasst.
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