Claudine ist 18 Jahre alt und hat eine achtmonatige Tochter, mit der sie im Maison du Soleil (Haus der Sonne) lebt, ein Heim für minderjährige Mütter, das die Don Bosco Schwestern in Cotonou aufgebaut haben. Claudine lebte seit der Trennung ihrer Eltern bei ihrem wiederverheirateten Vater, von dem sie in der zehnten Klasse schwanger wurde. Sie landete über einige Umwege im Maison du Soleil, wo sie ein neues Zuhause bekam. Als ich im September in Cotonou ankam, war meine erste Einsatzstelle das Ausbildungszentrum der Don Bosco Schwestern, das gleich neben dem Maison du Soleil liegt. Alle Mütter, die dort wohnen, bekommen die Möglichkeit, eine Lehre zu machen, und Claudine entschied sich für eine Konditorlehre im Ausbildungszentrum der Schwestern. So lernte ich sie als ein freundliches Mädel kennen, das manchmal schon fast ein bisschen anhänglich war, das mal sehr gut gelaunt war, Witze machte und fröhlich durch die Gegend lief, das aber auch mal schlechte Tage hatte und dann schnell gereizt war. An solch einem Tag hatte sie mich gebeten, einen Namen für ihr ungeborenes Kind auszusuchen, das sie in ihrem prallen Bauch unter der gelben Schürze des Konditoreiateliers trug und das sie eigentlich überhaupt nicht wollte. Doch diese wichtige Entscheidung wollte ich ihr nicht abnehmen. Anfang Dezember kam dann die kleine Sophie auf die Welt. Claudine hatte sich für diesen Namen entschieden, weil so auch die Frau hieß, die ihr als Erste geholfen hatte, als Claudine völlig überfordert von der Schwangerschaft nicht weiter wusste. Nach der Geburt hatte sich der Gesichtsausdruck der jungen Mama verändert. In doch so kurzer Zeit ist alles anders geworden.
Seit Mai verbringe ich die Vormittage im Maison du Soleil. Claudine hat ihre neunmonatige Lehre im Ausbildungszentrum inzwischen beendet und geht jetzt in eine kleine Konditorei in Cotonou, um dort ihr dreimonatiges Praktikum zu machen. Danach wird sie im Ausbildungszentrum der Schwestern ihr Diplom bekommen. Es ist schön, zu sehen, wie lieb sie ihre Tochter hat. Die Art, wie sie mit ihr redet, sie küsst, sie hoch in die Luft wirft und sie füttert,… in diesen Momenten ist Claudine glücklich mit ihrem Baby. Trotzdem holt sie ihre Vergangenheit immer wieder ein. Zum einen fehlt ihr die alte Zeit und es tut ihr auch Leid, dass ihr Vater jetzt im Gefängnis ist. Zum anderen möchte sie jeden Kontakt mit ihm vermeiden und will momentan auch nicht, dass Sophie ihren Vater kennen lernen wird. „Trotzdem ist das Leben schön“, hat mir Claudine mit einem Lächeln gesagt, nachdem sie mir über ihre Vergangenheit erzählt hat.
Die Frage ist, wie es mit der jungen Mama weiter geht, sobald sie ihr Diplom hat. Wahrscheinlich kann Claudine bei ihrer Mutter unterkommen, die inzwischen ebenfalls wiederverheiratet in einem kleinen Dorf in Togo lebt. Die Sozialarbeiter aus dem Maison du Soleil sind dabei, die Reintegration voranzubringen. Claudine würde gerne weiterhin in die Schule gehen, um ihr Abitur zu machen und danach studieren zu können, aber das könnte finanziell schwierig werden.
Das Maison du Soleil nimmt minderjährigen Müttern wie Claudine auf. Es ist ein weiteres Projekt der Don Bosco Schwestern und besteht seit 2011. Es gibt Platz für 13 Mädels, pro Jahr werden ca. 20 junge Mamas aufgenommen. Finanziell unterstützt wird das Projekt von Manos Unidas und Medecins du Monde. Zur Zeit ist das Maison du Soleil das einzige Haus in Benin, das minderjährigen Müttern Aufenthalt bietet. Seit August 2016 befindet sich das Maison du Soleil nach einem Umzug direkt neben dem Ausbildungszentrum der Schwestern, was für die jungen Mütter echt praktisch ist.
Kinderwägen gibt es in Benin nicht! Die Kleinen werden mit einem Stück Stoff, das man über der Brust und am Bauch wie ein Handtuch umschlägt, auf den Rücken gebunden.
Die Mädchen, die im Maison du Soleil aufgenommen werden, bringen alle unterschiedliche Geschichten mit. Meistens sind die Gründe für die Schwangerschaften Inzucht, Zwangshochzeiten oder Vergewaltigungen. Geschlechtsverkehr ist hier in Benin offiziell ab 16 Jahren erlaubt, somit spricht man bei allen schwangeren Mädchen, die jünger sind, von Vergewaltigungen, selbst wenn das Mädchen mit dem Vater ihres Kindes schlafen wollte. In diesen Fällen werden die Mädchen oft von ihren Familien verstoßen und zum Vater des Kindes geschickt (Zwangsheirat), der sich oft aber nicht um das Mädchen kümmern will oder kann. Schnell entstehen Konflikte mit den Familien und die Mädels stehen ganz alleine da. Im Maison du Soleil werden die jungen Mamas, die sich in schwierigen Situationen befinden, aufgenommen und bekommen neben psychologischer und medizinischer Betreuung die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen (die meisten machen die Lehre im Zentrum der Schwestern nebenan), außerdem werden zusätzlich Aphabetisierungskurse in verschiedenen Niveaus angeboten, da manche Mädchen wie Claudine viele Jahre in die Schule gegangen sind, aber es z.B. auch eine junge Mama gibt, die auf dem Markt verkauft hatte und nicht in die Schule gegangen ist, bevor sie schwanger geworden ist. Die Sozialarbeiter begleiten die Mädchen zu Gerichtsterminen, wo es meist um die Strafen für die Vergewaltiger geht, und kümmern sich um die Reintegration der jungen Mütter.
Ich liebe es, in der Früh das Maison du Soleil zu betreten! Draußen wirkt alles ein bisschen hektisch und wuselig auf dem relativ breiten Sandweg. Man merkt, dass man nur drei Nebenstraßen von einem Eingang des großen Markts entfernt ist. Wenn ich aber in den Hof des Maison du Soleils trete und das Eingangstor hinter mir schließe, komme ich mir jedes Mal wie in einer kleinen Ruheoase vor. Immer noch ist es etwas Besonderes, die kleinen Grünflächen zu sehen, denn Gras findet man selten in Cotonou. Umso besser tut es, barfüßig beim Spielen mit den Babys darüber zu laufen! Das Maison du Soleil ist passend zum Namen in einem freundlichen Orange gestrichen.
In dem Hauptgebäude befindet sich im Erdgeschoss zunächst mal der Aufenthaltsraum, in dem sich meist das Leben abspielt.
Dann gibt es vier Schlafzimmer mit Bädern für jeweils zwei bis vier Mädchen und ihre Babys, in gelb, grün, rosa und orange gestrichen.
Ein weiteres Bad befindet sich gleich beim Aufenthaltsraum, hier werden die Babys von uns Tatas gewaschen, gewickelt und umgezogen.
Auch die Küche befindet sich im Erdgeschoss. Im ersten Stock befindet sich ein Saal, in dem Mittwochnachmittag immer eine Versammlung vom ganzen Team des Maison du Soleils stattfindet (Sozialarbeiter, Psychologe, Erzieherinnen, Krankenschwester,…). Aktuelle Probleme werden dort angesprochen und die neuesten Informationen und Situationen werden geteilt. Der Psychologe und die Sozialarbeiter haben ihre Büros ebenfalls im ersten Stock. In einem Nebengebäude befindet sich das Büro des Direktors, das Zimmer der Krankenschwester mit Medizinschrank und einer Liege für Untersuchungen, und das Klassenzimmer, in dem die Mädchen mehrmals pro Woche Alphabetisierungskurse bekommen. Draußen gibt es einen Bereich, wo die jungen Mamas kochen und Wäsche waschen können, und in einem kleinen Teil des Gartens befindet sich ein kleiner Spielplatz für die Babys.
Gekocht wird auf den hier typischen kleinen Kohlegrills. Beim Kochen und Putzen wechseln sich die Mamas ab.
Die jungen Mamas bringen verschiedene Geschichten mit, manche kommen schwanger ins Maison du Soleil, andere haben ihr Baby bei ihrer Ankunft schon. Ich möchte euch ein paar weitere Mädels und ihre Kinder genauer vorstellen:
Francine war ein sehr junges Mädchen, das ich im September im Foyer (Mädchenheim der Schwestern) kennenlernte. Dorthin wurde sie von der Schutz- und Auffangstation für Minderjährige in Cotonou (OCPM) weitergeleitet. Im Heim stellte sich schnell heraus, dass das Mädchen von einem verheirateten Mann, der Francine ebenfalls zur Frau nehmen wollte, schwanger war. Also brachte man sie ins Maison du Soleil. Sie entschied sich für eine Konditorlehre im Ausbildungszentrum der Schwestern neben dem Maison du Soleil. Ihr Sohn Gabriel kam im Januar auf die Welt und hat jetzt immer noch sehr helle Haut. An meinem ersten Arbeitstag im Maison du Soleil im Mai hat mich der kleine Mann zur Begrüßung gleich mal angepinkelt 🙂 . Anfangs hat er noch recht viel geschlafen, inzwischen ist er aber ordentlich gewachsen (an ihm sieht man so gut, wie die Zeit vergeht) und wir nehmen ihn oft mit nach draußen, wenn wir im Garten mit den anderen Babys spielen. Er lächelt immer, wenn man seinen Namen ruft.
Flora war Opfer einer Vergewaltigung. Ich lernte sie im September kennen, sie machte eine Ausbildung in der Seifenmanufaktur im Ausbildungszentrum der Schwestern. Dort war sie immer recht still und in sich gekehrt. Im November kam ihre Tochter Régina auf die Welt. Als ich im Maison du Soleil anfing, hat die Kleine die ganze Zeit geschrien, mit der Zeit ist das aber viel besser geworden! Besonders hat Régina es genossen, in der Babyschaukel im Garten zu sitzen. Flora hatte sich verändert. Im Maison du Soleil war sie eine fröhlich ausgelassene Mutter, die ihr Kind liebte und sich gleichzeitig aber selbst auch oft noch recht kindisch verhielt. Mitte Juli hat sie das Diplom ihrer Ausbildung bekommen. Die Reintegration in die Familie ist dank der Sozialarbeiter gut gelungen und so wurde Flora mit Régina Ende Juli zurück nach Hause gebracht.
Mathilde wurde von ihrem Vater schwanger. Bei ihr ist die Reintegration in ein geschütztes Umfeld etwas komplizierter. Als ich ins Maison du Soleil kam, hatte ihr Sohn Antoine gerade seinen ersten Geburtstag gefeiert und hat kurz darauf seine ersten Schritte gemacht. Mathilde ist momentan das einzige Mädchen, das keine Lehre im Ausbildungszentrum der Schwestern macht. Stattdessen hatte sie sich dafür entschieden, Sekretärin zu werden, und macht dafür momentan ein Praktikum in einem Krankenhaus in Cotonou. Dort gefällt es ihr richtig gut, jeden Tag verlässt die junge Mama schick herausgeputzt dafür das Haus. Antoine wird oft mit dem Kosenamen „Shoushou“ gerufen, er haut beim Essen am meisten rein und schnarcht wie ein kleiner Holzfäller. Oft rennt er zu mir, wenn er sich erschrickt, und vergräbt seinen Kopf in meinem Kleid.
Paula ist hochschwanger ins Maison du Soleil gekommen und wurde am Tag darauf ins Krankenhaus gebracht. Dort hat sie ein kleines zierliches Mädchen geboren. Nachdem beide ins Maison du Soleil zurückgekommen sind, war Paula oft beim Spielen mit den Babys dabei und hat für uns getrommelt und gesungen. Obwohl sie nicht in der Schule war und somit fast nur die Stammessprache Fon spricht, hat sie immer versucht, auch ein bisschen Französisch zu reden. Ein paar Mal haben wir beide dazu Babylernbücher angeschaut, in denen einfache französische Wörter mit Bildern dargestellt waren. Drei Wochen nach der Geburt war Paula für kurze Zeit bei ihrer Familie in Cotonou. Wenn es das familiäre Umfeld zulässt, werden die Mädels für einen zweiwöchigen Aufenthalt mit ihrem Neugeborenen dort untergebracht, bevor sie ins Maison du Soleil zurückkommen. So wird der Kontakt zur Familie von Anfang an aufrecht gehalten, soweit das möglich ist. Inzwischen hat Anne ihre Lehre in der Seifenmanufaktur im Ausbildungszentrum der Schwestern angefangen.
Ich beginne meinen Tag um 8 Uhr im Maison du Soleil. Zu diesem Zeitpunkt sind einige Mütter noch da und säugen oder füttern ihre Babys mit Brei, bevor sie nebenan ins Ausbildungszentrum gehen. Die Kleinen, die schon fertig sind, werden auf einer Matte im Aufenthaltsraum Schlafen gebracht. Dazu hat jedes Baby seinen eigenen Stoff, auf dem es schläft. Um den Babys beim Einschlafen zu helfen, klopfen wir (das heißt ich und die andere Tata, die sich um die Babys kümmert) den Kleinen mit der gewölbten Hand leicht auf den Rücken. Zuerst war das ziemlich komisch für mich, ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein kleines Kind einschlafen kann, wenn ich es ständig auf den Rücken „schlage“. Aber es ist eine Methode, die sehr gut funktioniert und die die Kinder sehr beruhigt.
Gegen halb 11 kommen die Mütter aus dem Ausbildungszentrum für kurze Zeit ins Maison du Soleil, um ihre Kinder zu säugen. Ich helfe beim Wickeln und fütter die Babys, die schon älter als ein Jahr sind. Sie bekommen feste Mahlzeit wie den hier typischen Maisbrei oder klein geschnittene Spaghetti.
Danach spielen wir mit den Babys meistens draußen, oft singen und trommeln wir, schauen auch mal Bücher an oder lassen die Großen mit Buntstiften kleine Kunstwerke auf Papier zaubern. Um 12 werden nochmal alle gefüttert und zum Mittagsschlaf gebracht.
Das Maison du Soleil ist ein Projekt, das mir sehr viel Spaß macht. Die Arbeit mir Babys konnte ich mir schon von Anfang an gut vorstellen. Während meinen drei Monaten im Maison du Soleil wurden vier Mütter mit ihren Babys zurück in die Familie integriert, sieben neue Mädels kamen an und ein Baby wurde geboren. Ich bewundere die jungen Mamas sehr. Trotz ihren Geschichten haben sie ihre Babys so lieb und schaffen es in ihrem Alter, gleichzeitig Mutter zu sein und eine Ausbildung zu machen, und das alles meist ohne Unterstützung von ihrer Familie zu haben. Ich habe da wirklich großen Respekt vor ihnen. Durch ihr oft so optimistisches Verhalten helfen sie auch mir. Ich kann im Maison du Soleil arbeiten, ohne immer an die schlimmen Geschichten denken zu müssen, und so fällt mir meine Arbeit dort nicht schwer.
Viele liebe Grüße,
Eure Barbara
*alle Namen geändert
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