Wie ich bereits im vorherigen Blogbeitrag geschildert hatte, war es mit dem Unterrichten von Spoken English in der Highschool in den letzten Wochen immer schwieriger geworden, da wir kaum mehr Schüler:innen hatten, die regelmäßig kamen und wir fast jedes dritte Mal, ohne zu unterrichten nach Hause geschickt wurden. Nachdem wir jedoch alle gemeinsam mit Father Ratna gesprochen hatten, ließ sich diese Arbeitssituation ändern.
Zora und Lice hatten sich gewünscht zusammen im Vimukthi zu arbeiten. Dabei handelt es sich um ein außerhalb von Vijayawada gelegenes Projekt Navajeevans, in welchem etwa zehn bis 15 Jungen leben, die zuvor mit Drogen in Kontakt gekommen sind. Da sie die Anfahrt dorthin etwa zwei Stunden mit dem Bus kostet, bleiben sie sonntags bis dienstags nun dort und sind dann den Rest der Woche wieder bei uns in der Flat. Da Zora also montags und dienstags nicht mehr in Vijayawada ist, radel ich diese beiden Tage alleine zur Community und verbringe dort Zeit mit den Kindern. Obwohl ich zu Beginn etwas aufgeregt war, fühlte ich mich schnell auch „allein“ sehr wohl. Ab Mittwoch sind dann Zora und seit Februar auch Lice wieder dabei und ich finde es schön während des Fahrradfahrens und vor Ort mit ihnen gemeinsam dort zu sein. Ich arbeite nun also weiterhin vormittags in Penamaluru. Eigentlich bleibt hier alles beim Alten, es kommen mal mehr, mal weniger Kinder, das ist in letzter Zeit etwas unregelmäßiger geworden. Fast täglich bringen wir Zettel mit Matheaufgaben mit und rechnen sie zusammen durch. Das ist etwas, was sie wirklich gerne mögen, die Aufgaben befinden sich zwar noch im 20er Zahlenbereich, aber man merkt, dass sie sehr schnell besser und jedes Mal etwas sicherer werden. Es macht einfach Spaß, hier mit den Größeren nochmal eine andere Beschäftigung zu haben, während in letzter Zeit auch immer viele jüngere Kinder dabei sind, die einfach gerne toben und die ganze Zeit um unsere Matte mit Mandalas und Mathezetteln herumlaufen und spielen.
Da ausschließlich die Arbeit hier in der Community doch etwas wenig wäre, da ich ja bereits mittags, mal gegen 13 Uhr, mal gegen 14 Uhr wieder im YB bin, um dort Mittag zu essen, ist auch bei mir vor etwa einem Monat noch ein weiterer Arbeitsplatz hinzugekommen. Ich arbeite seitdem mit Pauli, einem meiner Mitvolos, im Deepa Nivas, einem Boyshostel, also einer Art Heim für Jungen im Alter von vier bis 16 Jahren. Dieses liegt etwa eine halbe Stunde mit dem Fahrrad von unserer Flat entfernt, die Jungen besuchen täglich verschiedene staatliche Schulen Vijayawadas und kommen anschließend so gegen 17 Uhr wieder im Projekt an. Dort steht dann Snacktime und anschließend Bathingtime an. Pauli und ich kommen meist im Zeitraum zwischen 17 Uhr und 18 Uhr und verbringen die Zeit während der Snacktime mit den Jungs und werden hier natürlich ebenfalls mit indischen Snacks, welche alle eigenhändig im YB hergestellt werden, verwöhnt. Planmäßig beginnt dann um 18 Uhr die Studytime der Jungs, wobei sich diese auch oftmals nach hinten verzögert. Hier ist es an Pauli und mir und zusätzlich zwei Lehrerinnen den Jungen bei ihren Hausaufgaben zu helfen, ihnen Dinge zu erklären, die sie in der Schule noch nicht verstanden haben oder ihnen weitere Übungen in Mathematik oder Englisch zu geben. Sie bekommen also in zwei Gruppen mit je etwa 20 Jungs Nachhilfe und dies zwei Stunden lang montags, mittwochs und freitags. Zu Beginn läuft es meist ganz gut und wir haben jeweils einen Kreis von Jungs um uns herum, denen wir bei ihren jeweiligen Aufgaben helfen, doch bereits nach kurzer Zeit funktioniert das konzentrierte Arbeiten nur noch mäßig. Es beginnt unruhig zu werden. Die Jungs rennen im Klassenraum umher, wollen alle gleichzeitig etwas von uns oder fangen spaßeshalber an sich zu prügeln. Zu Beginn waren Pauli und ich einige Male alleine und haben das entstehende Chaos ohne Hilfe überhaupt nicht mehr in den Griff bekommen. Mittlerweile sind doch recht zuverlässig jedes Mal die Lehrerinnen bei uns, wodurch es nicht mehr ganz so ausartet. Trotzdem herrscht natürlich eine gewisse Grundunruhe – vollkommen verständlich, wenn man bedenkt, dass die Jungs bis kurz zuvor alle noch in der Schule saßen. Da also ab einer gewissen Zeit einfach die Luft raus ist, nehmen wir nun jedes Mal für die letzten 20 Minuten Ausmalbilder mit. Superhelden, Zauberer oder wilde Tiere stoßen hier auf große Begeisterung und werden mit viel Geschick unauffällig in die Schultasche gesteckt, um sich daraufhin kichernd gleich nochmal in die Reihe für ein neues Ausmalbild anzustellen. Um 20:00 Uhr ertönt dann der „erlösende“ Essensgong und alle begeben sich in den Speisesaal. Auch Pauli und ich dürfen hier das sehr gute Essen genießen, welches in der Küche daneben zubereitet wird. Die Zeit mit den Jungs im Deepa Nivas zu verbringen, macht mir derzeit sehr viel Spaß und obwohl es sich doch oftmals um anstrengende zwei Stunden handelt, freue ich mich jedes Mal wieder darauf.
Kurz nach unserem Arbeitswechsel, Mitte Februar fand schließlich unser Zwischenseminar in Hyderabad statt. Alle Freiwilligen, die also über Don Bosco Volunteers Bonn oder Benediktbeuern in Indien ihren entwicklungspolitischen Freiwilligendienst absolvieren, trafen sich für sechs Tage im Provincial House der Stadt mit Niklas und Arnes. Während ich mich einerseits sehr darauf freute, zog es mich andererseits bereits auf der siebenstündigen Zugfahrt dorthin wieder zurück nach Vijayawada. Lieber gewesen wäre es mir zu diesem Zeitpunkt, in Viji zu bleiben und mich langsam im Deepa Nivas einzuleben. Zusätzlich verbrachte ich damals sehr viel Zeit im Sick Room. Dabei handelt es sich um einen Raum im YB, in welchen kranke oder verletzte Kinder aus den Projekten Navajeevans gebracht werden, um sich dort auszukurieren. Fast täglich spielte ich dort mit zwei Jungs Uno, Mensch ärgere dich nicht oder brachte ihnen Ausmalbilder vorbei. Hin und wieder bin ich nun auch noch dort, ich finde es einfach schön mit den Kindern zu spielen und ein bisschen Zeit mit ihnen zu verbringen.
So hatte ich also auf der Fahrt nach Hyderabad das erste Mal Heimweh nach Vijayawada und trotzdem war es dann natürlich schön alle anderen Volos beim Zwischenseminar wiederzusehen. Es fühlte sich ein bisschen an, als wäre man gerade im Kloster Benediktbeuern zum Seminar und nicht in einer Millionenstadt Indiens. Mit Niklas und Arnes hatten wir dann verschiedene Sessions zum Austausch über die jeweiligen Projekte und verschiedenen Situationen, die man als Volontär:in bereits erlebt hatte, zur Reflektion der ersten sechs Monate, zu Indien an sich, mit all den kulturellen Unterschieden und zum Ausblick in die Zukunft. Neben diesen, sehr diskussionsreichen Einheiten, durften auch unsere abendlichen Werwolfrunden nicht fehlen! Der ganz klassisch gemeinsam gestaltete Gottesdienst rundete schließlich das Seminar ab. Die schönen Lieder und das zur Ruhe kommen mit einer Traumreise, bildete als Kontrast zu den doch sehr vielen Inhalten einfach ein schönes Ende.
Anschließend ging es dann, statt gleich wieder zurück nach Vijayawada, sowohl mit Franzi und Hannah, zwei Volos aus einem anderen Projekt Südindiens, als auch mit der gesamten Flat nach Hampi. Hampi ist eine historische Stätte im südlichen Bundesstaat Karnataka. Früher, vor etwa 700 Jahren stellte es die Hauptstadt des letzten hinduistischen Reiches Vijayanagara dar. Somit ist dies, mit zahlreichen Tempeln, welche größtenteils nur noch als Ruinen existieren, eine sehr wichtige religiöse Stätte für Hindus. Anders als ich es mir vorgestellt hatte, fanden wir eine riesige Ruinenlandschaft vor, die sich über eine doch recht große Fläche erstreckte. Allgemein war die Landschaft dort atemberaubend und teilweise so unrealistisch schön, als käme sie direkt aus einem animierten Kinofilm. Zusätzlich dazu tummelten sich überall Affen, vor denen ich doch sehr viel Respekt hatte, da diese nicht unbedingt davor scheuten Dinge, besonders wenn es sich dabei um etwas essbares handelte, an sich zu nehmen. Doch während das zwar einschüchternd, jedoch nicht wirklich gefährlich war, wurde uns doch schon recht früh geraten, uns von den Flüssen fernzuhalten. Dort leben nämlich Krokodile, was auch Schilder rund herum verraten.
Viel Kulturelles stand natürlich auf dem Programm. Täglich überlegten wir uns beim gemütlichen Frühstück ein Tagesprogramm mit Tempeln, Hügeln oder anderen Stätten, wie dem Queensbath oder den Elephant Stables, gestalteten unseren Tag dann meist aber recht entspannt mit zwischendurch immer wieder Essenspausen in gemütlichen Cafés, mit sowohl indischem, als auch europäischem Essen. Obwohl ich zuvor nicht so begeistert von dem Gedanken war, noch länger nicht nach Vijayawada zurück zu kommen, konnte ich mich vor allem wegen dieser schönen Urlaubsstimmung doch sehr gut auf die Reise einlassen und die Zeit genießen.
So bin ich in diesem Monat und jetzt auch im März nun noch sehr viel Zug gefahren. Die Fahrten nach Hyderabad oder nach Hampi dauern dann doch mal sieben oder zwölf Stunden, wobei dies für indische Verhältnisse immer noch recht wenig ist. Und auch wenn es natürlich erst mal eine lange Entfernung darstellt, ist das Zugfahren hier wirklich sehr entspannt. Meistens bucht man eine der Sleeperklassen, das heißt, es können jederzeit die Sitze zu Betten umgeklappt werden. Die Tickets buchen wir immer im Voraus bei einer Train-Office hier bei uns in der Nähe. Meist genehmigen wir uns eine der besseren Klassen, da es deutlich entspannter ist mit weniger oder auch einfach einer passenden Anzahl an Leuten im Wagon. Hat man das Ticket, muss man am Tag selbst eigentlich nur noch seinen Platz suchen und kommt trotz der langen Strecken ohne Umsteigen und sehr pünktlich am Zielort an. Das Zugfahren hier ist also echt Luxus pur.
So wie zum Glück meist die Zeit während des Zugfahrens verfliegt, verfliegt auch die Zeit in Vijayawada so schnell und ich kann kaum glauben, dass ich nun schon nur noch weniger als ein halbes Jahr hier verbringen werde.
Hela moser
Hallo Antonia, vielen Dank für deinen neuen Eintrag. Es ist jedes Mal wieder spannend zu lesen . Wir werden uns den alten schulatlas vornehmen müssen, um deine Reisen in etwa nachzuvollziehen. Die Bahn in Indien ist ja wohl zuverlässiger und gemütlicher als die deutsche Bahn. Da kann sich die deutsche Bahn mal ein Beispiel nehmen. Wir freuen uns auf den nächsten spannenden Blog. Liebe Grüße Opa und Oma