Jetzt bin ich schon seit fast zwei Wochen in meinem neuen Projekt und werde versuchen euch einen Einblick in meine jetzige Situation und mein neues Leben zu geben.
Mein Aufenthalt hier hat im Prinzip mit einer ziemlichen Tragödie angefangen: genau in der Nacht vor dem Tag meiner Ankunft stand die komplette Markthalle in Flammen.  Ich war ja noch nicht vor Ort, also kann ich es nur aus Erzählungen wiedergeben. Die Feuerwehr musste kilometerweit anrücken, sodass für das Gebäude jede Rettung zu spät kam. Man konnte das Feuer noch von den direkt danebenliegenden Tankstellen bewahren und somit eine Explosion verhindern, doch die Existenz etlicher Menschen ist dahingebrannt.  Was das bedeutet? Die Frauen, die täglich ihre Ware verkaufen, bleiben auf einem riesigen Schuldenberg sitzen, was – ich weiß nicht wie viel – Zeit und Arbeit beansprucht ihn abzuarbeiten. Man hat kein Geld mehr für die Schulen, in die die Kinder gehen sollen. Man hat keine Zeit für die Kinder mehr. Und, und, und.
Etwa eine halbe Woche später hat auch in Lomé, der Hauptstadt Togos, die große Markthalle gebrannt. Man weiß noch nicht wer oder was dahintersteckt, aber das Drama ist groß.
Unsere Baracke ist direkt neben der Markthalle in Kara. Sie ist Gott sei Dank nicht betroffen, doch außen herum ist natürlich viel Trubel, das meiste was sich drinnen abgespielt hat, wird jetzt auf den letzten Zentimeterplatz nach draußen verlagert. Die Halle ist geschlossen und wird vom Militär bewacht.
Nun zum Projekt: wie schon erwähnt bin ich unter der Woche vormittags in der Baracke. Hier ist es immer unterschiedlich was die Arbeit betrifft. Es gibt Tage, an denen wirklich viele Kinder und Jugendliche vorbeischauen und andere Tage, an denen man einfach da ist und wartet ob noch jemand kommt. Wenn mehrere Betreuer da sind, kann man auch seine Runden drehen und schauen, ob man welche trifft oder findet. Ich persönlich war erst einmal wirklich unterwegs. Meist ist es so, dass die Kinder vormittags arbeiten um sich anschließend etwas zum Mittagessen kaufen zu können – oder was leider auch vorkommt, den Älteren etwas geben zu können, die die Jüngeren unter Druck setzen. Also ist es zu anderen Tageszeiten oft erfolgreicher, aber das kommt immer darauf an.
Nachmittags bin ich dann bei den fünf Jungs, die im Foyer Ignace leben. Wir machen meist den Garten und spielen anschließend im großen Foyer, während die anderen Jungs noch in der Schule sind. Um etwa 17:00 gehen wir dann in ihr eigenes kleines Foyer zurück, es wird noch ein bisschen gespielt, danach geduscht und während die zwei größeren Jungs das Essen vorbereiten, lerne ich mit den kleineren noch. Ich werde jetzt schon oft von den Kindern gefragt wann ich denn endlich im Foyer schlafen will:-) Ich muss schauen, ob es Möglichkeiten gibt, vielleicht eine Nacht in der Woche zu bleiben, aber ich denke, dass es Platzprobleme geben wird: es gibt nur ein Bett, in dem der Betreuer schläft, die Kinder schlafen nur auf Matten.
Am Wochenende bin ich bei den Mädchen. Das ist auch ein sehr kleines Foyer und die Mädchen haben ein ganz gemischtes Alter, von 5 bis 17 Jahren. Hier gibt es wirklich noch keinerlei Grundlagen. Die Mutter (Betreuerin) ist schon relativ alt und arbeitet 24-Stunden/Tag, was bedeutet, dass die Mädchen sich meist selbst beschäftigen müssen. Es gibt einen schwarz-weiß-Fernseher und keine Spielsachen. Was die Mädchen in ihrer Freizeit machen, beantwortet sich also von selbst. Sie kennen die Filme schon auswendig und es ist schwierig sie von der Glotze wegzubringen. Also muss ich mir überlegen wie ich die Mädchen gleichzeitig beschäftigen kann, damit die Kleinen nicht über- und die Großen nicht unterfordert werden. Letzte Woche haben wir verschiedene Kartenspiele gespielt und morgen werde ich einen Ball kaufen, das ist immer gut:-)

So jetzt zu meinem gestrigen Tag: es war ein Mittwoch, an dem ich eigentlich frei habe. An diesem Tag habe ich sozusagen mein erstes eigenes Kind gefunden. Es saß direkt vor meiner Zimmertüre.
Ich habe natürlich ausgeschlafen, so wie man das an dem einzigen freien Tag in der Woche für gewöhnlich macht, denke mir am Vormittag, ich gehe jetzt ein bisschen auf den Markt. Pustekuchen!
Das Zimmer verlassen, fragt mich ein kleiner Junge, der ein paar Meter neben meinem Zimmer sitzt, ob ich einen Kalender für ihn hätte. Für was brauchst du einen Kalender? Warum bist du nicht in der Schule? – Der Direktor schickt mich! – Ja ne, ist klar. Okay, zu ihm gesetzt und angefangen mit ihm zu reden. Im Gespräch ist rausgekommen, dass der neunjährige Junge seit drei Tagen von zuhause weggelaufen ist und seitdem anscheinend auch nichts gegessen hat. Er sucht nach Kalendern um sie zu verkaufen und dann was essen zu können. Warum er ausgerechnet bei mir vor dem Zimmer sitzt? Er hat einen Freund, der aufs College geht, das hier auf dem Gelände ist. Es ist Mittwoch, also sind alle Leute beim Arbeiten – außer mir. Bis jetzt hatte er noch keinen Erfolg bei seiner Kalendersuche. Alleine kann ich ihm nicht weiterhelfen, also habe ich mir ein „Taxi-moto“ geschnappt und bin mit ihm zur Baracke gefahren. Auf dem Weg dahin hat er mich sogar gefragt ob ich schon verheiratet bin; auf die Frage, warum er das wissen wolle, kam die Antwort: „Ich hab einen großen Cousin…“;-) In der Baracke angekommen hat er seine Geschichte nochmal erzählt und wir sind gemeinsam zu seinem Haus gefahren um mit den Eltern zu reden. Zuerst hat er uns zu einem völlig fremden Haus geführt, in dem keiner war. Die Nachbarn klärten uns dann auf, dass der Junge nicht in diesem Haus wohne. Beim zweiten Versuch hatten wir Erfolg. Es stellte sich heraus, dass der Junge einiges erfunden hat. Er scheint öfters mal für drei Tage wegzulaufen, weil er keine Lust hat in die Schule zu gehen. Wir sind, mit Einverständnis sowohl der Eltern, als auch des Jungen, so verblieben, dass er jetzt erst mal wieder bei den Eltern bleibt und wir nächste Woche Mittwoch wieder vorbeischauen, um zu sehen, was in der Zeit passiert ist. So weit, so gut.
Heute komme ich am Mittag von der Baracke nach Hause und da sitzt der Kleine tatsächlich wieder vor meiner Türe. Er war heute schon wieder nicht in der Schule. Er hat mir erzählt, dass es mittags bei ihm nichts zum Essen gäbe, nur abends – das ist der Grund warum er schon wieder auf der Suche nach Kalendern ist. Er scheint nicht mehr bei seinen Eltern leben zu wollen, obwohl er mir gesagt hat, dass die Eltern, auch nachdem wir wieder weg waren, keinen Ärger gemacht haben. Es gibt noch einen Onkel, bei dem er sich wünscht leben zu können. Morgen werde ich mit dem Betreuer reden, mit dem ich bei den Eltern war, und wir werden weiter sehen… Ich habe den Kleinen jetzt schon irgendwie in mein Herz geschlossen und mache mir Gedanken, wo er denn in dieser Nacht schlafen wird.
Soviel zu meiner neuen Arbeit. Ich werde berichten, sobald ich etwas Neues sagen kann.
Liebe Grüße, eure Anna:-)