Vroni H. in Benin

Mit Don Bosco in Cotonou

Die kleinen Verkäuferinnen aus der Baraque SOS!

Eine ganz besondere Arbeitsstelle, in der ich jeden Mittwoch arbeite, ist die Baraque SOS! Was ich dort mache, welche Kinder dort hinkommen und was sie für eine Geschichte mitbringen, das möchte ich euch heute erzählen!

„Wie heißt du?“
„Ich heiße Ama!“
„Und was verkaufst du?“
„Ich verkaufe Zwiebeln. Und du?“
„Cool, ich heiße Emira und verkaufe Tomaten!“

… Dieses Gespräch zwischen zwei kleinen Verkäuferinnen ist nicht selten der Anfang einer dicken Freundschaft! Oft beginnt sie in der Baraque SOS, einem kleinen offenen Raum inmitten des riesengroßen Marktes in Cotonou. Sie dient als offener Ort für Mädchen, die auf dem Markt verkaufen müssen und wurde 2001 als erstes Projekt der Don- Bosco Schwestern in Cotonou aufgebaut.
Hier sind alle Marktmädchen willkommen, jeder kann kommen und gehen wann er möchte…

Doch was sind dort eigentlich für Mädels?

Alle Mädchen, die in die Baracke SOS kommen, und das sind um die 40 am Tag, verkaufen auf dem Markt „Dantokpa“, der als größter Markt Westafrikas gilt.
Sie sind im Alter von 8-22 Jahren. Nur ein kleiner Teil der Marktmädchen (ca. 20%) lebt bei ihren eigenen Eltern. Alle anderen Mädchen (80%) bezeichnet man als sogenannte „Vidomegons“. Sie haben kaum eine Chance auf Bildung oder eine Ausbildung, durch die sie selbstständig werden könnten, weil sie zum Arbeiten gezwungen werden. Und das hat folgenden Grund:

Es gibt sogenannte „Tutrices“, welche viele verschiedene Dörfer auf dem Land besuchen, um mit den Eltern der Mädchen einen Handel abzuschließen. Die Tutrices versprechen den Eltern ihr Kind mit in die Großstadt Cotonou zu nehmen und es dort in die Schule zu schicken. Die Eltern glauben dieser Lüge und verkaufen ihr Kind. Durch diese Aktion wird der Kontakt zu den eigenen Eltern oft für immer abgebrochen.
Anstatt das verkaufte Mädchen in die Schule zu schicken, muss es nun der „neuen Mutter“ helfen auf dem Markt zu verkaufen. Die Mädchen müssen den ganzen Tag von früh bis spät mit schweren Tabletts auf dem Kopf herumlaufen und arbeiten 7 Tage die Woche.  Das verdiente Geld wandert dann am Abend in die Taschen der Tutrices.
Zu kaufen gibt es bei den kleinen Verkäuferinnen eigentlich alles, von Wasser, Kräutern, Tomaten, Zwiebeln, Reis, Bohnen, den schweren Igname-Wurzeln bis hin zu Schmuck, Kleidung, Beauty-Artikeln oder Medikamenten.
Ein kleiner Rettungsanker, eine Insel im welligen Ozean und ein kleiner Stern der Erholung und des Kindseins ist da die Baracke SOS inmitten des quirligen Marktes „Dantokpa“.
Doch selbst dort müssen die Mädchen immer auf der Hut sein. Viele Mütter bzw. Tutrices wollen nicht, dass ihre Kinder in die Baracke kommen. Sie gönnen dem Kind keine Erholung, sondern wollen, dass es verkauft und Geld verdient! So kommt es nicht selten vor, das Mütter ihr Kinder gewaltsam aus der Baracke ziehen und beschimpfen. Klar, dass sich solche Mädchen dann erstmal nicht mehr so schnell in die Baracke trauen und wenn dann nur ganz heimlich, ohne dass es ihre Mutter/ Tutrice bemerkt.

Was machen die Mädchen nun in der Baracke?

„Einmal ohne jede Zwänge zu tanzen, ein neues Spiel zu lernen, mit Buntstiften oder Wasserfarben zu malen, gebannt einen afrikanischen Film anzuschauen, sich ausruhen, mit anderen Mädchen Quatsch machen, Kind sein… all diese Erfahrungen können die Mädchen bei uns machen.“
… und damit fasst es Erzieher Franc gut zusammen! Die Baracke ist Ort der Erholung, der Freundschaften, des Spielens und des Kindseins!

Jeden Mittag findet eine Stunde lang Alphabetisierung statt, bei dem die Mädchen die Chance haben sich ein bisschen wie ein echtes Schulkind zu fühlen.
Das Prinzip ist ganz einfach: Wer da ist, macht mit! Und das sind oft jeden Tag andere Kinder, denn je nachdem wie erfolgreich der Verkauf war, kommt hier jeder zu einer anderen Zeit.
Gelernt werden Zahlen und Buchstaben zu schreiben, zu lesen und einfache französische Redewendungen anzuwenden (Denn viele Mädchen können nur gebrochenes Französisch).
Ich helfe bei der Alphabetisierung und mache anschließend immer noch eine kleine kreative Bastelaktion. Wir flechten Armbänder, basteln kleine Geldbeutel oder Masken, Malen mit Wachsmalkreiden oder lernen, das zerrissene Kleid selbst mit Nadel und Faden zu nähen.

Am Anfang hat es bei mir gedauert, in die Arbeit in der Baracke SOS rein zu finden! In dem kleinen Raum herrscht immer ein wilder Trubel und großes Durcheinander, jedes der Mädchen hat ein unglaubliches, nicht überhörbares Organ und die Stimmung ist lebendig, wild und ausgelassen! Ab und zu kommt es da auch mal zu kleinen Raufereien oder Diskussionen. In solchen Situationen muss man dann flott reagieren und schnell dazwischen gehen, sonst können die Waren schon mal durch die Gegend fliegen.
Viele der kleinen Verkäuferinnen sind es nicht gewohnt, sich länger mit detailgetreuen und filigranen Aufgaben zu beschäftigen und verlieren so oft schnell die Geduld.
Doch was ich an den Mädchen wirklich bewundere, ist ihre positive Energie und ihr dauerndes Strahlen und Lachen! Gemeinsam bilden sie ein riesiges Energiebündel voller Lebensfreude!
Mittlerweile hab ich diese lebendige und quirlige Atmosphäre in der Baracke immer mehr in mein Herz geschlossen und genieße es, jeden Mittwoch dort in eine ganz andere Welt einzutauchen.

Kinderarbeit

Wie euch nach dem Berichteten bestimmt schon aufgefallen ist, gehört hier Kinderarbeit leider zum Alltag!
Als Deutsche, die aus einem Land mit Kinderrechten kommt, in dem man bei Kinderarbeit im Gefängnis sitzt, ist die Situation hier natürlich erstmal schwierig zu verstehen. Es tut mir immer wieder im Herzen weh, Kinder zu sehen, die mit ihren schweren Tabletts auf dem Kopf durch den wuseligen Markt ziehen.
Ein Kollege hat mir die Situation folgendermaßen erklärt:

„Es gibt hier zwar, wie bei euch in Deutschland auch, Kinderrechte, zudem stehen aber auch Kinderpflichten im Gesetz. Eine Pflicht des Kindes ist es unter anderem, der Mutter zu helfen. Sei es im Haushalt, beim Waschen oder eben auch beim Verkaufen.
Oft bleibt den Eltern nichts anderes übrig, denn mit fünf, sechs oft sogar sieben Kindern, reicht das Geld, was die Eltern durchs Verkaufen verdienen nicht aus, um die Familie zu ernähren, da müssen die Kinder mithelfen.“

Auch mein Kollege hat als Kind zumindest in den Schulferien auf dem Markt verkauft, zuerst gemeinsam mit seiner Schwester und irgendwann auch alleine. Wenn er heute, als Festangestellter der Don-Bosco-Schwestern, an diese Zeit zurück denkt, leuchten seine Augen…

„Natürlich war es oft nicht einfach und anstrengend, doch ich hab diese wilde Zeit, die Freiheit und das in den Tag rein leben als Kind auch sehr genossen! Seine Pausen von dem Geschäft abhängig machen, keinen vorgesetzten Lehrer haben, mittendrinn im Markt-Getrubel zu sein, seine eigenen Geschäfte abzuschließen und einfach die Freiheit zu genießen.“

Mir hat das Gespräch geholfen, um nicht nur die Kultur und den historischen Hintergrund sondern auch die Situation der Mädchen besser nachzuvollziehen zu können und zu verstehen, warum einige auch total glücklich sind mit ihrer Situation und gar nicht unbedingt in die Schule gehen wollen.

Mit der Baracke SOS bleibt selbstverständlich die Situation der Mädchen die gleiche, doch trotzdem soll das Projekt den Alltag der Mädchen ein Stück weit erleichtern, neue Freundschaften zu knüpfen, Kind zu sein und jedem Mädchen bewusst zu machen, wie wertvoll es ist. Denn „das erste Glück eines Kindes ist bekanntlich das, geliebt zu werden!“, so schon Don Bosco.

In diesem Sinne freut es mich, wenn ihrs durch diesen langen Artikel bis hier hin geschafft habt und wünsche euch eine schönen Wochenstart!

Eure Vroni

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1 Kommentar

  1. martina@tschojerundtschojer.at

    Hallo Vroni,
    habe mir heute die Zeit genommen und in Ruhe deine Beiträge gelesen. Ich bin beeindruckt, eine wirklich tolle Sache die du da machst – Gratulation.
    Ich schicke dir viele liebe Grüße aus dem sonnigen Osttirol. Der Frühling zieht bei uns langsam und mit Vogelgezwitscher ein.
    Alles, alles Gute für die restliche Zeit von Martina und natürlich auch von Hansjörg

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