Indischer Regen hat etwas Reinigendes.
Es hatte sich schon angekündigt. Als der Himmel während des Volleyballspieles eine weinrote Farbe annahm, dachte ich mir schon dass es Regnen würde, aber so? So dicht und stark habe ich Regen selten vorher erlebt. Auch das Gewitter dazu ist ziemlich beeindruckend. Schon die vergangene Nacht hat es geschüttet. Als ich dann heute Morgen unsere Zimmertür öffnete, war es doch ein kleiner Schock zu sehen, wie sich der Schulhof nebenan, binnen 10 Stunden in einen hüfttiefen See verwandelt hat. Der Müll war verschwunden und auch die Luft war so klar und frei von Staub, wie es nur nach einem indischen Regenschauer möglich ist.
Der Regen, der stärker ist als unsere Dusche hier, schafft es einen auf 10 Meter, bis auf die Haut zu durchnässen und man hat das erste Mal seit anderthalb Monaten das Gefühl, dass all der Schmutz und Staub von seiner Haut gewaschen wird.
Indischer Regen hat aber auch etwas Friedliches. Mit den Jungs in der study-hall zu sitzen und dem Regen zu lauschen, der mit einer Intensität auf das Dach schlägt, dass es einem in den Ohren dröhnt, ist irgendwie gemütlich. Es wird nicht geredet, jeder schaut verträumt in die Luft. Es ist, als ob der Regen und mit ihm die Geräuschkulisse eine Privatsphäre geben würde, die sie sonst nicht haben und so wagt es in diesem Moment einfach jeder, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich schaue Paul an (eigentlich heißt er anders, aber für euch nenne ich ihn Paul), der mich fröhlich anlächelt und ich muss unwillkürlich daran denken, was mir Brother Justin beim Mittagessen erzählt hat. Der öfter mal mit sich selbst redende und manchmal zurückweisende Junge hat auf seinem Weg hierher in dieses Klassenzimmer schon einiges durchmachen müssen! Sein Vater war Alkoholiker, prügelte und schlug im Rausch seine Frau und machte damit bei seinen Kindern gleich weiter. Für mich wäre das ja schon Grund genug gewesen, seine Zurückgezogenheit und sein wechselhaftes Verhalten zu erklären, aber der Höhepunkt der Geschichte kommt erst noch. Eines Tages, wie genau es ablief kann ich nicht sagen, musste der Kleine mit ansehen, wie seine Mutter seinen Bruder direkt vor seinen Augen ermordete. Seit dem sitzt seine Mutter im Gefängnis und er ist hier, lebt mit anderen Kindern zusammen, die ein ähnliches, oder ein auf andere Weise genauso grausames Schicksal haben. Sehe ich diese Jungs hier dann lachen, dann geht mir das Herz auf.
Der Monsun dauert noch anderthalb Monate und so wie der Regen die Straßen reinigt, so ist es vielleicht auch für die Herzen der Kinder möglich zu heilen. Der Müll verschwindet durch den Regen nicht einfach, aber er wird beiseite geschafft und die Straße wird wieder frei. Genauso verschwinden auch die Sorgen und Probleme der Kinder nicht einfach, aber die Zuwendung und Aufmerksamkeit die sie hier bekommen schafft es auch immer wieder, sich einen Weg zu ihren Herzen zu bahnen.