Liebe Leser,
in einigen meiner Artikel kommen Sätze vor, wie „Schon wieder in viel Zeit vergangen…“ „Dies oder jenes liegt jetzt wieder so weit weg…“ „Da schaut man sich um, und wieder sind 2 Wochen vorbei…“. Doch in diesem Bericht muss ich noch genauer auf den guten, alten Freund/Feind „Zeit“ eingehen.
Mit rasender Geschwindigkeit naeherte sich also der Tag, an dem mein Besuch aus Deutschland ankommen wuerde. Alle, die die Schwierigkeiten und ueberraschenden Wendungen der Urlaubsplanung mitbekommen haben wissen, dass auch da Zeit eine grosse Rolle spielte. Mit verschiedenen Ankunftszeiten landeten dann also Alla, Monikas langjaehrige Freundin, Monika und Christoph hier in Santa Cruz.
Ich erwartete schon sehnlichst einen Urlaub, denn ich war in dem Stadium angekommen, in dem meine Kinder es zu leicht hatten, mich auf die Palme zu bringen. Und weil das ihnen gegenueber nicht gerecht war und auch fuer mich einige Energien kostete, war es ganz gut, nach all der Zeit mal rauszukommen.
Von Freitag bis Sonntag lernten meine Gaeste die Stadt Santa Cruz und auch meine lieben Jungs und das Hogar kennen. Wir gingen mit meiner Gruppe in den Zoo und die Kleinen freuten sich sehr über die Tiere, vor allem Schlangen interessieren sie besonders! Sie hatten keine Scheu und plauderten munter drauf los, egal, ob ihr Gegenüber nun Spanisch verstand oder nicht. Als Stärkung gab es deutsche Schokolade und Gummibärchen, was natürlich auch zur allgemeinen Freude beigetragen hat. Es war ein wirklich schöner Tag!
Den Sonntag besuchten wir natürlich die Messe und nach der Merienda ging es ans Packen und nachmittags machten wir uns in einem durchaus komfortablen „Bus Cama“ auf den Weg nach Cochabamba. Die Wochen zuvor war eine an die verschiedenen Abreisetage angepasste Reiseroute festgelegt worden, die wie folgt aussah: Cochabamba, La Paz, Copacabana und Isla de Sol (Titicacasee) und wieder nach Santa Cruz.
Nach ca. 11 Stunden fahrt kamen wir in Cochabamba an und verschafften uns, nach dem einchecken in ein nettes Hotel, erst mal einen kleinen Überblick, in dem wir von Plaza zu Plaza schlenderten.
Am Abend waren wir dann in einem „Casa del Campo“ (Landhaus), um weiter traditionelle bolivianische Gerichte auszutesten. Ich entschied mich freudig fuer ein „Pique Machu“, ein leckeres Fleischgericht, dessen Portion ich aber leider nicht mehr leer bekommen habe. Denn hier nahm die geplante Route eine Wendung.
Die Tage zuvor schon leicht fiebrig und angeschlagen, zeigte sich nun, was da in mir geschlummert hatte und ich verbrachte die naechsten 5 Tage in einem Hotelzimmer in Cochabamba und ausser durchgehendem Schlafen und zeitweiligem Lesen blieb mir nur das Betrachten der orange-goldenen Waende.
Dies brachte natuerlich den Zeitplan durcheinander. Ein Besuch im Krankenhaus (dessen wirklich gute Versorgung und Kompetenz hier mal hervorzuheben ist) zeigte: Parasiten und eine Infektion. Somit wurden alle Plaene noch einmal ueber den Haufen geworfen, mein Besuch und ich trennten sich, ich flog nach Hause, um mich auszukurieren und sie legten ihre Route nach La Paz fort.
Nach und nach konnte ich dann auch mehr als nur ein paar Sekunden stehen, ohne, dass mir schwindelig wurde und wie ich es gehoert habe, hatten die drei Reisenden eine schoene Zeit in La Paz. Christoph kam dann, ohne nach Copacabana gefahren zu sein, frueher nach Santa Cruz zurueck, da er der Uni wegen auch schon frueher nach Deutschland flog. So verbrachten wir noch angenehme und etwas ruhig angehendere Stunden in Geschwistervertrautheit und schon flog auch der Erste wieder ab.
Nach Monikas und Allas Rueckkehr nach Santa Cruz folgten noch ein Besuch in Concepcción, eine Kasperltheaterauffuehrung in meinem Sala, ein Besuch in Samaipata mit Übernachtung in einem deutschen Hotel, einige Momente der Entspannung in unseren Lieblingscafe im Zentrum und schon waren die Wochen auch schon vergangen.
Generell bin ich kein „Ich stehe am Flughafen und weine“ Mensch, doch auch mit dem Hinblick auf ein Wiedersehen in drei Monaten, fiel mir der Abschied nicht so schwer. Auch gibt es so viele Dinge, die in meinem Kopf herumschwirren und mein Herz rief wieder nach dem belebten Alltag des Hogars, meinen Kindern und allem, was die Arbeit dort so mit sich bringt.
Ich hatte ein bisschen Bammel, wie lange es wieder dauern wuerde, richtig im Geschehen drin zu sein, doch da hatte ich mir umsonst Sorgen gemacht. Als ich am Abend meines ersten richtigen Arbeitstages zwischen der Küche und dem Comedor hin und her huschte, Teller, Schuesseln und Becher mit mir schleppend, die Spielchen mit den anderen „Schleppern“ wie immer stattfanden und ich die Kinder wegen den selben Dingen, wie immer ermahnen musste, wusste ich: Das ist er, der normale Wahnsinn!
Und so, als waere kein Tag vergangen, ging es wieder weiter. Ein wichtiges Anliegen unsererseits diesen Monat ist das Umsetzen der Projekte, die wir mit den vielen und großzügigen Spendengeldern in Angriff nehmen wollen! (Dazu bald mehr auf der Seite „Spenden!?“) Auch da merkt man: Die Zeit wird knapp. Ja, hier etwas besorgen, da etwas abklaeren, etwas bestellen, abwarten, abholen, ein Feiertag, an dem das Geschaeft ruht, etc….und sieh da, schon wieder eine Woche vorbei.
Leider sind wir auch nicht die einzigen, denen die vorbei fliegende Zeit bewusst wird. Immer mehr fragen, wann es denn soweit wäre und wundern sich, dass schon bald ein Jahr um sein wird. Die Reaktionen der Kinder, die Zeitspannen meistens sowieso nicht richtig einschaetzen koennen, sind oft recht anrührend. „Kann ich danach mit Ihnen nach Deutschland gehen?“ „Wie, Sie sind im November nicht zu meinem Geburtstag da? Sie muessen kommen, ist auch okay, wenn Sie nur fuer den einen Tag kommen!“ oder nur ein einfaches „Ohhh…“ mit einer dicken Umarmung…
Am Donnerstag konnten wir dann einen ganz besonderen Tag miterleben. Der Wallfahrtsort Cotoca, der 28 Kilometer entfernt vom Hogar liegt, wurde besucht. Doch wer jetzt glaubt, dass wir uns um 8 Uhr morgens hinfahren lassen haben, um dort einen andaechtigen und ruhigen Tag zu haben, der taeuscht sich gewaltig. Um halb zwei Uhr nachts trafen wir vier Freiwilligen im Hogar ein und dann ging es mit den Erziehern zusammen ans Wecken der Kinder. Allerdings nur ab der vierten Klasse, sodass ich meine Gruppe habe schlafen lassen. Diese sind naemlich noch zu klein, um…..ja, um was? Genau, zu laufen. Nach einem gemeinsamen Gebet vor den Toren des Hogars stiefelten wird los. Oder stuermten im Stechstich, um es trefffender zu sagen. Waehrend den 10 Kilometern, die es erst mal ans andere Ende der Stadt ging, verlor sich die grosse Gruppe ein bisschen, jeder ging so sein eigenes Tempo, alle aber unglaublich zuegig. Es blieben schliesslich nur gute 4 Stunden Zeit, wenn man rechtzeitig zum Fruehstueck an der Jungfrauenkirche in Cotoca sein wollte. Wen auf dem Weg die Kraefte verliessen, der konnte sich auf die Ladeflaeche des Autos schwingen, welches die juengeren Kinder am Morgen brachte.
Durch das fruehe Loslaufen in den Morgenstunden haben wir quasi den ganzen Tag gewonnen, den wir nach dem Fruehstueck mit einer Messe und danach in einem in Cotoca gelegenen Spielepark mit Fussballplatz, Spielplaetzen, Hindernissparcour, Schildkroeten und Kuehen (welch Kombi) und Schwimmbecken verbrachten. Dieser Donnerstag ging schnell vorbei, fuer so manchen hat sich das Abendessen aber bestimmt angefuehlt wie die Ewigkeit. Denn als wir am nachmittag nach Hause fuhren, hatten wir die geheime Mission unseres Freiwilligenjahres endlich geschafft: Wir hatten 180 Kinder dazu bekommen so muede zu sein, dass sie bereit waren, auf Essen zu verzichten, wenn man sie nur endlich ins Bett liesse. Um die Relativitaet der Zeit zu verstehen muss man also nicht Einstein studieren.
In den Morgenstunden, als wir noch weit entfernt von unserem Ziel waren, erzaehlte ich meiner Laufbegleitung die Geschichte von Beppo, dem Strassenfeger aus dem Buch „Momo“. Wie Beppo frustriert ist mit dem Fegen, er die Strasse betritt und ihn sofort der Mut verlaesst, da er sieht, wie viel er noch vor sich hat. Und wie Momo ihn aufklaert, dass er die Sache falsch angeht und sich einen Punkt vornehmen solle, bis zu dem er hin arbeite und somit die Strasse in kleinen Abschnitten abarbeiten wuerde.
Bei uns ist es genau anders herum. Wir sehen die Strasse und wir kurz sie ist und die Panik macht sich breit. Doch auch hier kann Momo helfen. Wenn wir also die verbleibenden Wochen nicht als eines sehen, sondern jeden Tag fuer sich, jede Stunde im Sala, jede Messe, jedes zu Bett bringen….dann sollte sich die Panik verabschieden und das Geniessen tritt wieder in den Vordergrund.
Und alles weitere….erzaehle ich beim naechsten Mal! 😉
Liebe Gruesse
Lisa
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