Liebe Leser,
Diesmal hat es mich wirklich viel Zeit gekostet, mich wieder dem schreiben zu widmen. Abgesehen von der Tatsache, dass man zum Schreiben auch Zeit braucht, muss ja auch Muse dabei sein, auch damit es angenehm zu lesen ist.
Welche Besonderheiten gibt es aus dem Oktober noch zu berichten?
Da faellt mir sofort ein, dass der Oktober der Monat des Rosenkranzes war (bzw immer noch ist, aber dann halt erst wieder im naechsten Jahr 😉 ). Normalerweise beten wir den Rosenkranz jeden Samstagabend im Hof. Manchmal ist es anstrengend die Kinder ruhig zu halten, die natuerlich wie immer viel Unsinn im Kopf haben. Aber Samstagabends sind sie oft vom Schwimmbad und auch dem vielen Sport am Nachmittag so erschoepft, dass sich das Quatsch machen noch in Grenzen haelt. Kommen wir aber zurueck zum Oktober, an dem wir jeden Tag Rosenkranz gebetet haben. Den einen Tag am Morgen und den anderen Tag am Abend. Dies war sehr anstrengend, sowohl fuer Kinder als auch fuer Erzieher. Morgens waren die Kinder oft noch sehr muede und haben somit wenigstens zu grossen Teilen davon abgesehen Unsinn zu treiben. Allerdings musste man dann auf eine ganz andere Sache achten und zwar darauf, dass sie nicht einschlafen. Dies authentisch rueberzubringen, waehrend man sich selbst nichts sehnlicher wuenscht, als im kuscheligen Bettchen zu liegen, ist nicht ganz so einfach. Abends war dann oft die Hoelle los, der Rosenkranz wurde vor der Recreo, also ihrer Zeit zum richtigen Austoben, gebetet und somit hatten wir 160 ernergiegeladene Buendel zu betreuen.
Aber nach diesem Oktober ist auf jeden Fall sichergestellt, dass ich das Vater Unser und das Ave Maria auf Spanisch hinbekomme 😉
Eine Sache, die ich noch erwaehnen moechte, ist eine Besonderheit, die sich in der Schule abgespielt hat. Die Kinder hatten einen Nachmittag ziemlich kurz Unterricht, da danach das Militaer kam. Wie uns erklaert wurde, wurde jedem Kind 200 Bolivianos (ca. 18 Euro) gegeben. Dies geschieht anscheinend einmal im Jahr, damit sie Schulsachen kaufen kann und ich glaube, diese Neuerung wurde im Rahmen der Alphabetisierungskampagne eingefuehrt. (Dafuer lege ich jetzt aber keine Hand ins Feuer) Dieses Geld geben die Kinder dann auf jeden Fall an ihre Eltern, die Uebergabe an die Kinder ist in dem Falle wirklich nur symbolisch, ihre Eltern sind dabei oder bei uns eben Erzieher, die das Geld dann an den Padre geben. Ich war nachmittags mal drueben und habe die Soldaten gesehen, das war alles schon ein bisschen angsteinfloessend. Ausserdem weiss ich wirklich nicht, wieso die das so umstaendlich machen, aber ich nehme mal an, die haben nicht alle selbstverstaendlich ein Konto, wo man das hinueberweisen kann und ausserdem ist anscheinend die Symbolik in Form der Uebergabe an das Kind persoenlich wichtig.
Was wir im Oktober auch erstmalig erleben durften, ist, dass wir aus der Stadt herausgekommen sind. Ja, unser Besuch damals auf der Granja in unserer ersten Woche, war im Grunde genommen auch laendlich, aber da haben wir ja wirklich nur das Projekt gesehen und eben die Umgebung auf der Autofahrt (wenn man da nicht gerade geschlafen hat 😉 )
Wir sind mit einer Gruppe sonntagsnachmiitags nach San Jose gefahren, einem kleinen Ort ausserhalb der Stadt. Dort gab es einen Fluss auch viel Flora und Fauna zu bewundern. Auch gibt es anscheinend ein gutes Stueck weiter, als wir waren, schoene Wasserfaelle. Da wir das an diesem Tag aus Zeitgruenden nicht geschafft haben, haben wir das auf unsere persoenliche To-Do-Liste gepackt 🙂
Mit dem Beginn des Novembers stand auch erst mal ein wichtiger Tag an – Allerheiligen. Das war zwar ein Freitag, also eigentlich ein freier Tag, aber trotzdem wollten wir uns den Friedhofsbesuch mit dem kompletten Heim nicht entgehen lassen. Hin ging es erst mal in drei Lastern, die etwas von Schweinetransportern hatten, wir dienten schon so ein bisschen als Sauelen, an denen sie die Kinder festhalten konnten, um nicht einfach umzufallen.
Der Friedhof war sehr faszinierend. Es gibt keine Grabsteine, sondern richtige Haeuser, in den die Saerge sich befinden. Fuer diejenigen, die sich das nicht leisten koennen (die Haeuser schienen recht teuer und prunkvoll) gibt es Waende, in die die Saerge geschoben werden.
Das Proyecto Don Bosco hat eine eigene Kapelle. Darin befindet sich eine Wand mit den Saergen der verstorbenen Kinder. Die Platte vor jedem Sarg ist mit dem Namen beschriftet und auch mit einem Foto versehen.
Wir haben dort eine Messe gehalten, die wunderschoen war. Draussen hatte der Himmel mittlerweile seine Pforten geoeffnet, es hat in Stroemen geregnet. So standen wir in der dichtgedraengt in der Kapelle und haben die generell schon wunderschoenen Lieder zum Klang einer einzelnen Gitarre gesungen. Nach der Messe habe ich den Padre angesprochen, ob die Kinder denn von Krankheiten oder Unfaellen gestorben sind.
Er hat sich Zeit genommen uns von jedem einzelnen Kind zu erklaeren, was geschehen ist.
Der Padre ist ein faszinierender Mann, er kennt alle Kinder aus jedem der Haueser beim Namen und ihre Hintergrundgeschichte. Bei 6 Haeusern kann man sich denken, wie viele Kinder und verschiede Leben da zusammenkommen.
Bei den Kindern, die Umgekommen sind, waren einige krank, einer wurde erschossen, ein, zwei sind an Verkehrsunfaellen gestorben und auch 3 an Unfaellen im Hogar bzw im Schwimmbad des Hogars, was wir besonders erschreckend fanden. Einer der Jungen ist beim Herumalbern in der Dusche ausgerutscht und mit dem Kopf aufgeschlagen. Wir mussten daran denken, wie viel Unsinn unsere Jungs jeden Abend in der Dusche vollfuehren, das reicht von Handtuchschlachten bis Seifensurfing…
Auf jeden Fall haben wir eine schoene Erfahrung auf dem Friedhof gemacht. Der Ausflug ist dann buchstaeblich ein bisschen ins Wasser gefallen, da der Regen einfach richtig heftig war. Das hat die Kinder aber nicht im Geringsten gestoert, sich an den Graebern Essen abzustauben. Das ist naemlich eine Tradition hier, dass an Allerseelen die Angehoerigen das Grab ihres Verstorbenen pflegen und Suessigkeiten, Obst und Brotmaenner mitbringen, die dann an die Kinder verschenkt werden.
Ein paar Bilder habe ich im Friedhof gemacht, bevor ich meine Kamera lieber vor dem herabstuerzenden Regen gerettet habe. Ich lade sie in naechste Naehe hoch, damit ihr eine kleine Vorstellung von diesem Ort bekommt.
Das waren so die Grossereignisse der letzen paar Wochen. Ihr seht, es ist immer was los. Heute ist der letzte Schultag fuer die Kinder, dann beginnen die Sommerferien. Da gibt´s jetzt erst mal noch ein paar Ausfluege und Feiern und dann geht es fuer uns schon aufs Camp. Die vergangene Woche wurde in Sitzungen diskutiert, welche der Kinder ueber die Ferien nach Hause koennen, welche vielleicht sogar dort bleiben duerfen und wer mit ins Camp geht, bzw. fuer Ausbesserungsarbeiten im Hogar bleibt. Das traurige ist, dass viele Kinder sich Hoffnungen machen, bzw. der festen Ueberzeugung sind, nach Hause zu duerfen. Bei einem Jungen aus meiner Gruppe weiss ich, dass seine Mutter vor ihrem gewaltaetigen Partner in die USA geflohen ist und trotzdem ist er der festen Ueberzeugung nach Hause zu koennen. Zwar koennte es der Fall sein, dass er zu einem anderen Familienmitglied kann, aber es gibt auf jeden Fall genug Jungs, die freudig von zu Hause reden und davon, wie sie nicht wiederkommen und wir sicher wissen: Er kommt mit aufs Lager und wird auch naechstes Jahr noch hier sein.
Wir sagen dann oft nichts dazu, denn abgesehen von der Tatsache, dass sich diese Traeume sowieso nicht mit einem „Nein“ zerstoeren lassen, ist es auch nicht unsere Aufgabe, ihnen diese Nachricht zu ueberbringen.
Schlimm ist es allerdings auch fuer die Kinder, die wissen, dass sie niemanden haben, weil sie vom nirgendwo kommen. Ihnen ist klar, weder dieses noch eines der kommenden Jahre, werden sie die Ferien zu Hause verbringen oder auch nur hoffen koennen, danach zu Hause bleiben zu duerfen.
So hat jedes der Kinder sein Los und wir hoffen nur, dass wir diejenigen, die dableiben, gut auffangen koennen.
Ein bisschen anderst sieht es bei der aeltesten Gruppe des Hogars aus. Die 15,16 jaehrigen wurden vor die Wahl gestellt ob sie nun das Hogar verlassen wollen oder nicht. Einige gehen ins Barrio, das Heim in dem man eine Ausbildung machen kann. Einige gehen nach Hause und die, die im Hogar bleiben uebernehmen die Rolle des Hermano Mayor. Ich bin mir nicht sicher, ob ich davon schon erzaehlt habe. Es gibt einige aeltere Jungs, so in unserem Alter, die selbst Kinder im Heim waren und dann entschieden haben zu bleiben und Verantwortung im Heim zu uebernehmen. Sie haben dann eine Gruppe, schlafen bei denen im Schlafsaal und uebernehen die Gruppe, wenn kein Erzieher da sein sollte. Sie sind Ansprechpartner und eben „grosser Bruder“. Ausserdem arbeiten sie in der Kueche. Wenn die Jungen sich also entscheiden zu bleiben, liegt das letzte Wort beim Padre. Denn bleiben duerfen nur fleissige Jungen, die Verantwortung gezeigt haben und die wirklich hinter dieser Entscheidung stehen.
Hierzu moechte ich von einem der Jungs erzaehlen, der mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Er kam die letzten Wochen wirklich oft mit dem Thema an, ob er bleiben darf, oder nicht. Er hat viel aus seinem Leben erzaehlt, auch sehr bewegende Dinge. Ihm ist klar, dass es viel Mist gebaut hat, der ihm womoeglich die Chance verbaut hat, im Hogar zu bleiben. Anscheinend hat er in den letzten 2 Jahren viel daran gelegt sich zu bessern, hat mit angepackt, Verantwortung gezeigt und gutes Verhalten an den Tag gelegt. Trotzdem hatte er riesigen Bammel, seine Gedanken haben sich im Endeffekt immer im Kreis gedreht. Gestern Abend sassen wir in der Recreo, der Pause, da kam er freudestrahlend an und nickt nur. Es hat einen kurzen Moment gedauert, bis ich verstanden habe, was Sache ist, aber dann habe auch ich mich riesig gefreut. Seine Freude war einfach ansteckend und da ich weiss, wie sehr er das in den letzten Wochen mit sich herumgetragen hat, freut es mich umso mehr. Er war echt ausser sich, konnte es kaum glauben und ist mir in die Arme gefallen. Er hat gelacht, geschrien und sich dem Himmel entgegen gewandt mit den Worten „Gracias a Dios!“.
Mit diesen Worten moechte ich fuer heute abschliessen, der Artikel hat nun auch schon eine beachtliche Laenge. Fragen koennt ihr mir wie immer persoenlich Stellen, ich gebe mir Muehe zeitig zu antworten 😉
Liebe Gruesse aus Bolivien, wo unglaublicherweise jetzt Sommerferien sind 😛
Lisa
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