Klara in Indien

Reise ins Herz von Goa

„Ihr könnt mir vertrauen!“

Diesen Satz hört man öfter. Ob ich der Person, die ihn ausspricht, glauben kann, sagt mir mein Bauchgefühl oder mein Kopf. Wenn ich die Person nicht kenne, springt mein Bauchgefühl ein und mein Kopf folgt ihm einfach. Bei einer Person, die ich kenne, geht mein Kopf alle Erfahrungen mit ihr durch und mein Bauchgefühlt vertraut auf meinen Kopf.

Aber was mache ich, wenn mich mein Bauchgefühl täuscht? Was, wenn die Erfahrungen in meinen Kopf nicht ausreichen, um eine Person einzuschätzen? – Ganz einfach. Ich lerne aus diesen Situationen. Ich habe zwei Beispiele für solche, die ich in der letzten Woche erlebt habe.

Erste Erfahrung – Philipe

„Hallo, ich bin Philipe und wie heißt ihr?“ – so wurden wir von einem netten Mann auf dem Markt in Mapusa begrüßt, als wir uns Schmuck bei einer älteren Dame anschauten. So lieb wie ich bin, verriet ich ihm meinen Namen und aus welchem Land wir kommen. „Oh Deutschland, da habe ich auch einen Freund. Wollt ihr mal mit zu meinem Stand kommen? Ich habe mehr Auswahl.“ Natürlich konnte ich ihm das nicht ausschlagen. Adele und ich folgten ihm durch mehrere Gässchen des von Menschen gefüllten Marktes. Wir gingen an Kleidungsständen vorbei. Auf einer Seite rochen wir scharfe Gewürze und alten Fisch, auf der anderen duftende Blumen. In einer kleinen Gasse blieben wir stehen. Philipe entfernte eine Folie von Stapeln mit bunten Stoffen, Kisten voll Schmuck und Souviniers. „Das ist mein Stand, wegen des Regens, musste ich ihn abdecken.“ Eine Frau, die mit ihm den Stand führte, bat uns Hocker an und kümmerte sich um Adele. Philipe konzentrierte sich auf mich.

Erste Erfahrung – Stoffe aus dem Tibet

Philipe gab mir mehrere Schals aus – angeblich – Kaschmir in die Hand. Er fragte mich über mein Privatleben aus. „Hast du Mama und Papa in Deutschland? Geschwister? Große Familie?“ Ich antwortete ihm ehrlich, da er mich grinsend ansah und sehr vertrauenswürdig schien, Zumindest sagte mir das mein Bauchgefühl. Mein Kopf wusste, dass es alles nur eine Masche des Handelns ist. Er baute alle Fakten über mich mit ein. „Der Schal für dich und dann brauchst du noch einen für deine Mutter und deine Schwester!“ Bevor ich antworten konnte, hatte ich noch mehr Schals auf meinem Schoß liegen. Schön waren sie ja schon. Als ich nach dem Preis fragte, zwinkerte er mir zu und meinte, dass er mir zum Schluss ein Angebot macht.

„Bei den Russen fange ich mit 5600 Rupien (56€) an, weil das unfreundliche Touristen sind. Ihr seid Deutsch. Dir mache ich ein besseres Angebot“ Er tippte die Zahl 4000 in sein Handy und hielt es in mein Gesicht. Ich sagte ihm, dass es sogar in Deutschland günstiger sei. Er zog nochmal 1000 ab. Trotzdem ging ich nicht auf das Angebot ein. Er erklärte mir nochmals, dass alles, was er verkaufte, aus echtem Kaschmir ist und aus dem Tibet kommt, da könne ich ihm vertrauen.

Na ja, irgendwie hatte ich dann doch zwei Schals und zwei Kühlschrankmagneten für 25€ gekauft, was für Indien immer noch deutlich zu teuer ist.

Erste Erfahrung – Gewissen

Andere bekamen von meinem Kauf mit und baten mir Dinge an. „Du würdest mich so glücklich machen, wenn du ein paar Ohrringe kaufen würdest.“ sagte eine kleine, alte Frau zu mir. Ich wusste, dass ich es bereuen würde, übermäßig teuren Schmuck,  der nach einem Tag, statt golden, schwarz ist zu kaufen. Aber noch mehr würde ich es bereuen, wenn sich die Dame an diesem Tag nichts zum Essen leisten könnte, weil mir 2,50 € zu schade waren. Also kaufte ich etwas.

Ein Mann klopfte auf Trommeln herum und kreiste um mich herum. Ich war plötzlich sehr gestresst. So viele erwartungsvolle Gesichter, die mir etwas andrehen wollten. An meinem Fuß hing die Frau des ersten Standes, die mir aus Dankbarkeit (oder schlechtem Gewissen, weil sie mich abgezogen hat) ein Fußkettchen anbrachte.

Erste Erfahrung – schnell weg hier

Es tauchte eine Frau mit einem Kind auf dem Arm auf, die mit Handzeichen signalisierte, dass sie etwas zu essen brauchte und zeigte dabei auf das Kind. Wir hatten vorher Obst gekauft. Ich gab ihr eine Kaki, während der Mann mit der Trommel immer noch neben meinem Ohr Krawall machte. Wir machten uns auf den Weg zum Bus. Der Mann rief mir Angebote hinterher. Bei jedem Mal sank der Preis. Er wollte nicht locker lassen. Selbst als wir schon im Bus saßen, trommelte er weiter und rief mir zu. Ich ignorierte ihn gnadenlos, bis er es endlich aufgab.

Zweite Erfahrung – Aufregung wegen zwei Stunden

Das erste Mal nach 1,5 Monaten allein unterwegs. Nur Adele und ich – abgesehen von überfüllten Bussen und den ganzen Menschen auf der Straße. Es war eine Erleichterung für uns, endlich mal selbständig in die Stadt zu fahren, ohne abhängig von jemandem zu sein. Einfach mal entspannt über Märkte schlendern und von Menschen übers Ohr gehau´n zu werden. Einfach mal Touri sein.

Zwischendurch wurde ich vom Father angerufen, was ich leider nicht bemerkt habe. Als ich es nach einer halben Stunde gesehen habe, rief ich ihn direkt zurück. Aber ohne Erfolg. Wir begaben uns auf den Rückweg.

Als wir zurückkamen, war er nicht da. Das war aber nicht untypisch, er ist wirklich oft unterwegs. Wir aßen Abendbrot und gingen nach einem schönen Tag ins Bett.

Der nächste Tag, Donnerstag, lief wie jeder andere Tag ab. Frühstück, Unterricht vorbereiten, Mittagessen, Unterricht geben und Abendbrot. Nur eins war komisch. Wir haben kaum mit dem Father geredet. Wahrscheinlich war er nur gestresst und viel draußen unterwegs, dachte ich mir.

Zweite Erfahrung – Konfrontation

Freitag saß ich wieder mit Adele am Frühstückstisch und genoss mein Brötchen mit Erdnussbutter. Plötzlich kam der Father angerauscht und setzte sich zu uns. Mit einem scharfen Blick schaute er uns in die Augen und fing an uns ohne Pause zu konfrontieren. Emotional geladen, warf er uns vor, dass wir am Mittwoch zu spät gekommen sind. Wir hätten schon zum Mittag zurück sein sollen. Außerdem hätten wir seinen Anruf aus Absicht ignoriert. „Wenn ihr denkt, dass ihr alles allein könnt, dann macht was ihr wollt. Ist mir egal“ ist ein Satz, der mir hängengeblieben ist. Wahrscheinlich, weil es ein Standard Satz von meinen Eltern war.

In mir bauschte sich ein unangenehmes und ängstliches Gefühl auf. Ich konnte mich kaum noch auf seine Worte konzentrieren, weil ich so überfordert mit der Situation war. Ich merkte nur noch, wie er uns mit einem anderen Volontär verglich und ich versuchte ihn zu unterbrechen, um uns zu erklären. Meine unsichere Stimme konnte seine aufgeregte nicht unterbrechen. Nach seinem Ausbruch verließ er den Raum.

Zweite Erfahrung – was ist gerade passiert?

Mit zitterndem Körper lief ich ihm hinterher ins Büro. Ich fragte, ob wir nochmal darüber reden könnten. Nein. Wir sollten Unterricht geben. Als wäre gerade nichts passiert. Wir setzten uns mit Schülern zusammen. Konzentrieren konnte ich mich aber nicht. Mit unterdrückten Tränen saß ich die Zeit ab.

So haben wir ihn noch nie erlebt. Er war normalerweise schon fast unerträglich nett und lustig. Er hatte immer einen Witz parat und redete in einem lieben Ton mit uns.

Ich erinnere mich an eine Rede von ihm, die er auf einer Autofahrt schwang. Er sagte, dass wir ihm immer vertrauen und alles erzählen können. Für jedes Problem können wir gemeinsam eine Lösung finden. Da kam wieder mein Bauchgefühl zum Vorschein. Mein Kopf wollte ihm das alles glauben, aber mein Bauch sagte mir, dass da irgendwas nicht stimmt. War das Manipulation? Wollte er einen guten Eindruck machen, weil er weiß, dass er auch anders kann? Sagte er das nur, weil er es musste? Schließlich ist er verantwortlich für uns und unser einziger Ansprechpartner hier.

Zweite Erfahrung – Termin

Später fragte Adele nochmal, wann wir mit ihm reden können. Wir bekamen für 17 Uhr einen Termin. Pünktlich saßen wir in seinem Büro. Er forderte uns zum Reden auf, also redeten wir. Wir entschuldigten uns und versuchten zu erklären, dass wir weder das Verpassen des Anrufs, noch das Nichteinhalten der Uhrzeit beabsichtigt haben. Wir suchten nach Lösungen, die wir ihm präsentierten, um solche Missverständnisse in Zukunft zu vermeiden.

Nichtsdestotrotz hörte er uns gar nicht zu und redete sich aus der Situation raus. Das Gespräch hat mir nichts gebracht. Ich fühlte mich noch immer so wie vorher. Jetzt wusste ich, dass er nicht über Probleme reden kann und erst recht keine Lösungen zulässt.

Heute ist Mittwoch. Seit einer Woche geht er uns aus dem Weg, kehrt uns den Rücken zu, schaut uns nicht in die Augen und gibt uns keine Aufgaben oder wichtigen Informationen mehr. All das wegen zwei Stunden. All das wegen eines Missverständnisses.

Wir versuchen normal mit ihm zu reden und uns Hilfe von einer Vertrauensperson zu holen. Sie hat uns auch nochmal bestätigt, dass das Problem in seiner Natur liegt. Er braucht die Kontrolle über alles. Wenn er die Kontrolle verliert, ist bei ihm alles vorbei. Er unterteilt in schwarz und weiß, in Gut und Böse. Da gibt es nichts dazwischen. Sie versucht mit ihm zu reden und seine gute Seite wieder zum Vorschein zu bringen. Vielleicht behandelt er uns dann wenigstens wie Arbeitskolleginnen.

Gerade fühlen wir uns ein bisschen wie seine Eltern. Er ist trotzig und eingeschnappt, während wir versuchen die Beziehung aufrecht zu erhalten und ihn wieder umzustimmen.

Was lerne ich daraus?

Erstens, es ist wichtig Menschen zu vertrauen, aber manchmal ist es wichtiger auf sein Bauchgefühl zu hören und vorsichtig zu sein. Wenn man sich doch täuscht, lernt man halt dazu.

Zweitens, auch wenn ich zu viel bezahlt habe, gab ich Menschen mein Geld, die es gerade mehr brauchen als ich. Deswegen muss ich es nicht bereuen, Philipe vertraut und etwas mehr Geld ausgegeben zu haben.

Drittens, manchmal ist man in einer Situation der erwachsenere Mensch. Selbst, wenn das Alter etwas anderes sagt und es eigentlich nicht so sein sollte.

Mich machen diese Erfahrungen nur stärker. Manchmal kann man eine Situation oder einen Menschen nicht ändern. Egal, wie sehr man möchte, dass es klappt. Ob in Beziehungen, Freundschaften oder kurzen Bekanntschaften. Es raubt mehr Energie und Zeit die Beziehung zueinander zu erzwingen, als damit abzuschließen, auch wenn es sehr schwer sein kann. Wir halten nicht an dem Menschen fest, sondern an den Erinnerungen.

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“

~ Benjamin Britten

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Sommer, Sonne, Strände und Pfarrer

  1. Liebe Klara, ich wünsche Dir weiterhin viel Gelassenheit. Und es ist ganz normal, dass ihr in eurer Arbeitsbeziehung nun in eine etwas konfliktreichere Phase kommt. Auch die Salesianer sind Menschen mit Fehlern. Vielleicht kann er bald über seinen Schatten springen- ich wünsche es euch sehr.
    „Mit Adleraugen sehen wir die Fehler anderer, mit Maulwurfsaugen unsere eigenen“ (Franz von Sales)

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