Lange ist es her, dass ihr von mir hier gehört habt. Tatsächlich hatte ich mir vorgenommen, regelmäßig ein Update über mein Leben hier vor Ort zu geben, aber das hat leider nicht so gut geklappt.
Man ist hier mit so vielen Dingen beschäftigt, sodass ich oft keine Lust/Zeit hatte, zum Schreiben anzufangen. Und so vergingen die Tage, Wochen und Monate in Rekordzeit. Nun neigt sich mein Aufenthalt hier in der Elfenbeinküste schon dem Ende, genauer gesagt bleiben mir noch 5 Wochen.
Nun die Frage, wo ich überhaupt mit dem Erzählen anfangen soll, denn ein halbes Jahr lässt sich nicht einfach so zusammenfassen.
Obwohl meine Zeit hier noch nicht zu Ende ist, musste ich bereits von meinen Mädchen im Internat Abschied nehmen, weil Ende Mai die großen Ferien begonnen haben . Wenn ich von großen Ferien spreche, dann reden wir wirklich von 3-4 Monaten. Und noch dazu kann man dieses Jahr nicht sicher sagen, ob das Schuljahr 2025/26 Ende September anfangen wird, weil im Oktober die Präsidentschaftswahlen anstehen. Sie erwarten große Unruhen, da die politische Lage sehr instabil ist. Vor allem wenn man sich die Geschichte des Landes anschaut, die 2002 und 2011 einen Bürgerkrieg verzeichnet, versteht man die Angst der Menschen hier vor Ort. Im Endeffekt kann man die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können nur beten, dass es einen harmlosen Verlauf nimmt.
Ein kleines Fazit zu dem Internatsleben: Ohne jegliche Erfahrung, als frisch gebackene Abiturientin, wurde ich mit meinen Aufgaben und vor allem der Verantwortung für die Betreuung und auch Erziehung so vieler junger Mädchen schon ziemlich ins kalte Wasser geworfen. Das Motto war dann „learning by doing“. Ich habe mich an meine Arbeit und an die Kinder gewöhnt, während sie sich auch an mich gewöhnt haben. Da es sich hier um einen Ort zum Lernen handelt und man den Eltern verspricht, den Kindern die besten Voraussetzungen zu bieten, um erfolgreich in der Schule zu sein, musste man für Disziplin und Ordnung sorgen. Das hat mal mehr und mal weniger gut geklappt. Um ehrlich zu sein, ging es schon manchmal drunter und drüber zu. Da die Nerven nicht zu verlieren, ist eine Kunst.
Aber natürlich durften auch die spaßigen Momente nicht zu kurz kommen. Bei lernfreier Zeit, wenn ich nicht Aufseher und Nachhilfelehrer sein musste, haben wir uns beim Fußballspielen, beim Armbänderknüpfen, beim Tanzen, beim Kartenspielen, beim Basteln, beim Filmeabend und beim Plaudern sehr amüsiert.



Sicherlich habe ich nicht alles richtig gemacht, aber letztendlich habe ich immer versucht, mein Bestes zu geben, um für meine Mädls da zu sein. Und das ist, was zählt: das Engagement und der gute Wille. Bei meiner Arbeit darf man nie vergessen, dass sich hinter jedem Kind eine Geschichte verbirgt. Der familiäre Hintergrund bei eigentlich allen Kindern erweist sich als problematisch. In den wenigsten Fällen gibt es noch Mutter und Vater, entweder gestorben oder getrennt. Oft wachsen die Kinder bei Tanten oder Großeltern mit sehr vielen weiteren Kindern auf. Oder sie leben in riesigen Patchworkfamilien, in denen es oft zum Phänomen der bösen Stiefmutter bzw. des bösen Stiefvaters kommt. Das Fehlen von Bezugspersonen sowie der Mangel an Erziehung und Aufmerksamkeit machen sich stark bemerkbar. Bei uns würde man verhaltensauffällig sagen. Die Mädchen haben zwar ein Dach über dem Kopf, aber oft kein richtiges Zuhause. Deshalb sollte man nie vorschnell urteilen, denn die ganze Geschichte kennt man selten auf den ersten Blick.
Das Leben dieser Kinder ist alles andere als leicht, wozu ich gerne 2 kurze Geschichten erzählen möchte. Von den anfänglichen 80 Mädchen sind es am Ende nur noch 72 gewesen. Was ist geschehen?
Die kleine 10-jährige Aude musste leider von uns gehen, nachdem ihre Krankheit zu spät entdeckt wurde, beziehungsweise die medizinischen Versorgungen hier in der Umgebung sehr zu wünschen übrig lassen. Diese Nachricht dürfte euch genauso wie mich bestürzen. Ein Kind, das wegen Mangels an medizinischem Wissen und Fachkräften stirbt. Sie klagte öfter über Bauchschmerzen, sodass sie nach den Ferien im Februar nicht mehr ins Internat zurückkam, weil sie behandelt werden sollte. Da die Kinder hier gerne mal sagen, sie seien krank, um nicht in die Schule gehen zu müssen, fing unter den Kindern schon das Getuschel an, sie inszeniere nur eine Krankheit. So traurig, wie’s auch klingt, nachdem wir erfahren haben, dass das kleine Mädchen es nicht geschafft hat, haben sie es auf die harte Tour gelernt, nicht zu lügen, wenn es um ihre Gesundheit geht.
3 weitere Mädchen wurden schwanger, was hier keine Seltenheit ist, ein weiteres Kind wurde zwangsverheiratet. Man merkt schon, alles keine leichten Schicksal.
Von tagtäglich zusammenleben wurde zu einem sich nie wieder sehen. Ich werde sie auf jeden Fall vermissen!! Ein bisschen traurig macht es mich, sie jetzt loszulassen, ohne zu sehen, wie sie ihren Weg weitergehen. Was wird aus ihren Träumen und Wünschen ? Fragen auf die ich keine Antworten habe. Gemeinsam haben wir ein Abschlussfest gefeiert und einen Ausflug nach Yamoussoukro unternommen.




In der letzten Zeit war ich mit den Kindern alleine, die ihre Examen dieses Jahr vorbereiten, und denen, die eine Berufsausbildung machen. Stolz können wir sagen, dass alle 6 Mädchen das BPEC ( Abschluss der ersten Sekundarstufe )bestanden haben.
Hier gibt es keine unterschiedlichen Schulformen wie Realschule, Mittelschule, Gymnasium, FOS, etc., lediglich das collège. Nach dem 4. Jahr hat jeder Schüler/ jede Schülerin die Prüfung des BPEC abzuschließen, um seine schulische Laufbahn fortzusetzen.
Letzten Montag wurden die Abiturergebnisse verkündet, ein Tag, an dem jeder gezittert hat. 40,15% haben ihr Abitur in der Elfenbeinküste erfolgreich bestanden, eine Steigerung zum letzten Jahr, aber natürlich noch weit ausbaufähig. Wenn man in unsere Region, Guémon, schaut, werden die Zahlen den ein oder anderen schockieren, denn die Quote der erfolgreichen Abiturient*innen liegt gerade mal bei 26%. Das ist unter anderem ein Beweis, dass das schulische Niveau im Vergleich zum restlichen Land in Duekoué extrem schwach ist. Deswegen sage ich auch oft, dass HIER in die Schule zu gehen nicht unbedingt bedeutet, Bildung zu erfahren. Problem dafür sind maßlos überfüllte Schulen, Fachkräftemangel, Korruption. Sprich die Regierung, die, wie es scheint, sich kein bisschen für Bildung in ihrem Land interessiert. Eventuell steckt dahinter auch eine politische Intention, um die Bildung der Bevölkerung gering zu halten, und so Macht behalten zu können und Widerstand in der Bevölkerung gar nicht erst eine Chance zu geben.
Zum Thema Korruption möchte ich noch einmal kurz darauf eingehen. Man hört ja immer wieder in Medien oder liest in Büchern von dieser Art des Machtmissbrauchs, aber es so nahe mitzuerleben, ist nochmal was ganz anderes. Dem Polizisten bei einer Straßenkontrolle 1000 cfa zu geben, um weiterfahren zu können, ist das eine, aber für seinen gesamten Abschluss zu bezahlen, ist verrückt. Hat man die Kinder nach ihrer Prüfung gefragt, wie es lief, schauten sie einen verzweifelt an und meinten, die erste Frage des Lehrers lautete immer: „wie viel bietest du mir?“Mit diesem Wissen kann man sich jetzt ungefähr errechnen, wie viele das Abitur ehrlich geschafft haben.
Unter meinen 12 Abiturientinnen im Internat konnten wir 6 zu ihrem Erfolg beglückwünschen. Wir sind sehr zufrieden mit der Anzahl, wobei das Mitleid für alle anderen natürlich sehr groß ist.
Seit dem Ende des Internatslebens hat ein neues Kapitel für mich angefangen. Ich verbringe nun meinen Tag in der benachbarten Krippe, wo ich der Erzieherin beim Beaufsichtigen der kleinen Kinder helfe. Es ist eine win-win Situation: ich kann Maman Eliane unterstützen, und ich habe eine sinnvolle Beschäftigung, die mir Spaß macht. Diese Arbeit ist sehr unterschiedlich zu der davor im Internat, aber es freut mich, dass ich auch Erfahrungen in anderen Bereichen sammeln kann. Die Kinder waren von Anfang an offen und neugierig, mich kennenzulernen, nur eins unter ihnen hatte Angst vor mir. Vermutlich weil ich weiß bin. Nach einem Monat habe ich bis jetzt echt schon eine gute Beziehung zu den Kindern aufgebaut. Jedes hat seinen eigenen Charakter, aber letztendlich sind sie alle super süß.








Ich bin gespannt, was mir der letzte Monat in Afrika noch bereithält. Eins ist sicher, man kann hier so viel vorausplanen, wie man will, es gibt immer Überraschungen.
Ich grüße euch alle von Herzen!
Bis ganz bald, eure Johanna











Ulla Fricke
Hallo Johanna, ich hab Deinen Eintrag sehr gerne gelesen. Und leider ist das was du beschreibst ja auch in amtlichen Statistiken festgehalten, die Elfenbeinküste schneidet im Ranking um gute Bildung immer ganz mies ab (Platz 168 von 189 Ländern die erfasst werden). Hab ghute letzte Wochen und ein herzlicher Gruß aus Bonn! Ulla Don Bosco Volunteers