Henriette in Benin

Komm mit mir ins Abenteuerland

Ein Tag, den ich mit euch teilen will

Ich liege schlafend in einem Bett umhüllt von einem Moskitonetz. Noch sind meine Sinne nicht ganz beisammen, aber langsam drängt sich das Zirpen der Grillen in meinen Kopf und irgendwann reist mich das krähen des Hahns aus meinem Schlaf. Ich gehe ins Bad spritze mit mir aus einem Wasser ins Gesicht und öffne die Tür. Es ist 7 Uhr morgens und draußen ist es bis auf die Tiergeräusche und das rauschen der Blätter ruhig. Ruhig – kein Motorengeräusch, keine hupenden Motos, keine rempelnden Menschenmassen, keine schreiende Verkäuferin, kein Kindergeschrei, keine Musikboxen. Die Ruhe, die ich in Cotonou doch des Öfteren vermisst habe, finde ich hier wieder. Hier- das ist in einem Camp, nahe des Dorfes Tanéka Béri, gelegen in Nordwesten Benins.

Camp Tanéka Béri


Zum Frühstück erwartet uns Baguette mit Omlette und Tee. Uns, das sind wir vier Freiwillige in Benin (Lea, Lea, Jule und ich), zwei Französinnen die ein Freiwilligendienst in Togo machen und Euloge, unser Reiseführer. Nach dem Frühstück geht es in das Dorf zu den Bewohnern Tanéka Béris.

Unser Weg führt uns über einen Trampelpfad bergauf und es braucht nicht lange, bis wir die ersten Häuschen entdecken. Kleine, runde Häuschen aus Lehm mit einem spitzen Strohdach. So habe ich mir Zwergenhäuser als Kind vorgestellt.

Ein Bewohner führt uns durch die vier Quartiers des Dorfes. Jedes Quartier hatte seinen eigenen König, heute gibt es nur noch einen. Kinder gesellen sich zu uns und begleiten uns bei unserer Besichtigungstour.

Wir kommen an einem Baobab vorbei. Baobabs sind gewaltige Bäume, die hier heilig sind und dessen Früchte einen gesund machen. Unser Guide erklärt uns, dass der Baum ein Fetisch ist. Fetische hängen teilweise mit der Voodoo-Religion zusammen, müssen es aber nicht. Zu diesem Baum kommen Frauen, wenn sie sich ein Kind wünschen. Haben sie dann ein Kind bekommen, kommen sie mit dem Kind nochmal her und danken den Geistern. Dann teilen sie den Stoff mit dem sie das Kind tragen werden und hängen die Hälfte an den Baum. So bleibt das Kind ewig mit dem Baum, seiner Stärke und seiner Gesundheit in Verbindung und ist geschützt vor bösen Geistern. Fetische sind also heilige Orte, an denen man mit Geistern in Verbindung tritt, dankt und bittet und Opfergaben durchführt.

Der heilige Baum Baobab

Auf unserem Spaziergang begegnen wir auch zwei Ministern. Sie sind traditionell gekleidet, das heißt bis auf einen Lendenschürz sind sie nackt. Sie sind im Dorf sehr angesehene Herren die alle ihre verschiedenen Aufgabenbereiche haben. So gibt es Zuständige für Gesundheit, Kultur, Wächter der Nächte oder Fetische. Sie dürfen als einzige Pfeife rauchen. Der Minister, der die Fetische bewacht ist 95 Jahre alt. Er darf eine Auswahl an Männern zusammenstellen, die nach seinem Tod für seinen Posten in Frage kommen, sich für die einzelne Person entscheiden tut dann aber der Rat des Dorfes.

Ein Minister am Pfeife rauchen

In dem Dorf, das 260 Einwohner zählt, sind 85 Prozent Bauern und 15 Prozent Jäger. Es gibt kein Wasser, kein Strom, keine Autos, keine Straßen.

Es kommt mir alles vor wie in einem Film, aber es ist echt, auch hier sind wir im 21. Jahrhundert, so unvorstellbar es auch klingen möge.

Jedem Kind dem wir begegnen, erklärt Euloge, dass es um 13 Uhr, also wenn die Sonne am höchsten steht, zum Camp kommen soll. Denn heute soll gefeiert werden.

Die Kinder sind neugierig, aber auch gleichzeitig schüchtern und nicht so aufdringlich, wie die Kinder in der Stadt. Sie schauen uns an, grinsen, beobachten uns gut und ein ganz mutiges Kind schiebt langsam seine Hand in meine. Ihre Klamotten sind zerissen und schmutzig und viele sind auch einfach nur nackt.

Der BVB ist auch in Tanéka Béri vertreten. Die Kinder tragen die Klamotten, die wir in die Altkleidertonne schmeißen.

Euloge beauftragt mehrere Jungs Trommeln zu holen und gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg zum Camp, begleitet von einer Schar Kinder, die aufgeregt umherspringen, klatschen und trommeln. Es ist eine verrückte Szene, die Kinder zu beobachten, wie sie aus den Häuschen kommen, ihre Arbeit stehen lassen und uns gefüllt mit guter Laune folgen. Mütter und Väter schauen uns lächelnd hinterher.

Am Camp angekommen setzen sich die Kinder alle auf dem Boden und wir Tatas präparieren das Wasser zum Hände waschen. Dann bildet sich eine Reihe und jedes Kind wäscht seine Hände, so wie wir es ihnen zeigen. Es sind um die 50 Kinder und alles läuft ruhig und ohne Gedrängel ab.

Diese Ruhe ist für mich so unglaublich, kein Kind schreit „Donne moi“ oder anderes. Sie stehen da und warten bis sie an der Reihe sind. Als dann alle Hände gewaschen sind, bilden wir kleine Gruppen die sich auf dem Boden im Kreis niederlassen. Und dann kommen nach und nach unzählige Tabletts mit Bergen von Reis.

Die Tata Leas am Reis verteilen

Und eigentlich verstehe ich erst jetzt, dass Euloge die Kinder zu einem richtigen Essen eingeladen hat. Wir stellen die Tabletts in die Mitte der Kreise und ich kann es kaum glauben – niemand fängt an zu essen, sie warten alle auf das Kommando von Euloge.

Alle warten bis jeder sein Reis vor sich stehen hat. Im Hintergrund ist unser Reiseführer Euloge zu sehen.

In Deutschland möge das vielleicht normal klingen und von guten Manieren und einer guten Erziehung zeugen. Hier in Benin ist das aber was ganz besonderes. Wer was zu essen hat, isst es schnell bevor es von jemand anderem gegessen wird. Und jetzt blicke ich auf diese vielen Kinder die ruhig dasitzen und warten, bis alle ein Tablett vor sich stehen haben.

Dann wünscht Euloge einen guten Appetit und die Kinder fangen an zu essen. Auch wir Tatas gesellen uns dazu und essen mit der Hand köstlichen Reis. Auch die Atmosphäre während des Essens ist ganz angenehm es gibt kein Streit. Jeder ist mit seinem Haufen Reis beschäftigt. Euloge hat 24 kg Reis kochen lassen – er selber steht in der Mitte und strahlt. Er kommt zu uns und sagt: „Ich habe gar keinen Hunger, ich bin so glücklich diese Kinder hier essen zu sehen, es ist so wunderbar, das ist alles was ich gerade brauche“. Auch für Euloge ist das heute das erste Mal, dass er Kinder zu einem richtigen Essen einlädt. Euloge ist ein toller Reiseführer der an sein Land und seine Leute glaubt und der alles Erdenkliche tut, um Menschen eine Freude zu bereiten. Ob spielen, singen, tanzen, Bonbons essen, Sirup trinken, Musikinstrumente verschenken, Schulgelder bezahlen, Wasserpumpen bauen – Euloge unterstützt seine Landsleute und hat viele Projekte in Benin am Laufen. Er gibt sein Land nicht auf, so wie viele es tun, die genug Geld haben um Benin zu verlassen. Er liebt sein Land und er will es weiterentwickeln.

Für einige Kinder des Dorfes übernimmt Euloge das Schulgeld von nicht mal 15€ im Jahr. 15€, die die Eltern nicht haben.

Seit zwei Jahren haben die Kinder kein Reis mehr gegessen, Hauptnahrungsmittel ist hier nämlich Mais. Und auch der Leiter des Camps sagt zu mir: „Es ist so schön die Kinder essen zu sehen, für viele ist das heute das erste Mal, dass sie so viel essen können bis sie nicht mehr können.“ Dieser Satz berührt mich tief. Wie oft überisst man sich in Deutschland, wie oft sitzt man nach dem Essen da, hält sich den Bauch und sagt: „Boah ich kann nicht mehr“. Eigentlich gehört das zu unserem Alltag. In Deutschland essen wir eigentlich immer so viel, bis wir nicht mehr können und schmeißen dann auch noch die Reste in die Tonne. Und hier, hier war es für die Kinder das erste Mal, dass sie was auf ihren Tellern liegen gelassen haben.

Die Augen der Kinder leuchten, auf allen Gesichtern ist ein Lächeln zu finden. Wir räumen alles auf, der Boden wird gefegt, die Hände nochmals gewaschen und dann präparieren sich die Jungs mit ihren Trommeln. Es wird getanzt was das Zeug hält.

Von unserer kleinen Reisegruppe sind nur noch Jule und ich übrig, der Rest macht ein kleines Schläfchen. Und so müssen Jule und ich dann auch irgendwann auf die Tanzfläche, aber an den afrikanischen Tanz werden wir wohl trotz unserer großen Bemühungen nie rankommen.

Irgendwann ist es dann Zeit für uns aufzubrechen. Wir laufen ein letztes Mal durch das Dorf Tanéka Béri, verabschieden uns von den Dorfbewohnern. Am Dorfrand begegnen wir noch dem König. Er ist Euloge sehr dankbar, dankt uns für unseren Besuch  und schreitet dahin. Verrückt, da hat man heute tatsächlich noch mit einem König geredet.

Der König von Tanéka Béri

Zu Fuß laufen wir zu unserem nächsten Camp und in der Abendsonne schwelge ich in den Erinnerungen die ich von dem besonderen Tag heute mitgenommen habe.  

Odabo!

Oriette

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  1. Martina Hasenzahl

    Liebe Henriette,
    wieder war ich in Afrika bei Dir und wieder konnte ich mir alles so gut vorstellen !
    Welch ein Geschenk ist die Beschreibung Deines mit uns geteilten Tages !!
    Hab Dank und sei umarmt von
    Hasi
    PS Meine Schüler haben jetzt übrigens ein Tante Hasi draus gemacht, nachdem die eine von ihrem Aufenthalt in der Türkei berichtet hat, wo man wohl alle freundschaftlich verbundenen Frauen zu Tanten macht…
    Ich kann gut damit leben!
    Herzlich
    Tante Hasi

    • Henriette Müller

      Ach liebe Tante Hasi, na dann mach ich das jetzt auch so ; )
      So toll immer von dir zu hören, zauberst mir immer ein Grinsen ins Gesicht!
      Bekommst ein dicken Knuddler von Tante Henneh

  2. elke Müller

    Liebe Henriette,
    das sind wahre und unvergessliche Glücksmomente im Leben.
    Ich freue mich für dich und drücke dich!
    Werde diesen Blog in den nächsten Tagen in der Schulkindbetreuung vorlesen – bin gespannt, wie die Gören deine Geschichte aufnehmen.
    Liebste Grüße
    ElkeMama

    • Henriette Müller

      Hihi Mami ich bin stolz auf dich! Der erste Kommentar ist geschrieben🤩 au fein, da bin ich auch gespannt!
      Die Königstochter grüßt dich😘

  3. Richard Genth

    Liebe Henriette,
    Dein Bericht und Deine Fotos haben uns beeindruckt und berührt. Wir haben uns sehr gefreut, dass Du diesen Tag mit uns geteilt hast. – wir haben zwei Freundes-Ehepaare, die je für sechs Jahre in Nigeria für den YMCA arbeiteten
    und denen haben wir von Deinen Berichten erzählt. Sie waren angetan, konnten dies alles sehr schnell nachvoll-ziehen.
    Auch Dein vorheriger Bericht über Deine „Umweltaktion“
    hat uns gezeigt wie engagiert Du nicht nur in Ostfildern,
    sondern auch in Afrika Dich für die Umwelt einsetzen willst.
    Wir selbst durften- ohne je in Afrika gewesen zu sein – Dank Deiner Schilderungen eintauchen in besondere afrika-
    nische Erlebnisse.
    Danke dafür! Dir wünschen wir weiterhin gute Erfahrun-gen, freuen uns auf die nächsten Berichte, die Du mit flotter Feder schreibst. Mögest Du behütet bleiben.
    Es grüßen herzlich Richard und Ingrid Genth.

  4. Andrea Baumann

    Liebe Henriette!
    Schön, dass du Gelegenheit hast, auch die andere Seite Benins kennenzulernen.
    Deine Berichte wecken in mir das Fernweh nach Afrika und ich denke an unsere Erlebnisse in Benin vor 30 Jahren…So viel scheint sich nicht geändert zu haben.
    Könnte man Euloge das Schulgeld für Kinder zukommen lassen? Gäbe da es eine vernünftige Möglichkeit?
    Vielen Dank für deine spannenden Geschichten und sei behütet…
    Liebe Grüße Andrea

    • Henriette Müller

      Liebe Andrea,
      jetzt komme ich auch endlich zum Antworten.
      Schön von dir zu hören und hehe da bin ich stolz auf mich, wenn ich dein Fernweh geweckt habe 😉
      Ja, Euloge nimmt Spenden entgegen und kann, wenn ich es richtig verstanden habe, auch Spendenquittungen ausschreiben. Das aller wichtigste sei aber, so Euloge, dass der Spender, die Spenderin nach Benin kommt und schaut, was sich aus dem Geld entwickelt hat. Also wie wärs? Benin auf ein zweites Mal?

      Danke für deinen Kommentar! Bis bald!
      Beste Grüße Henriette

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