Zuckerrohr kauen, Bullen umarmen, den Topf absichtlich überkochen lassen… die spinnen, die Inder! Die Bräuche des Pongal-Fests scheinen auf den ersten Blick ziemlich sonderbar, weswegen ich mal eine kleine Unterrichtseinheit in Sachen tamilischer Kultur abhalten werde.

Jedes Jahr ein Neuanfang…oder zwei

Zu Beginn muss gesagt werden, dass sich aufgrund von Uneinigkeiten zwischen Regierung und Bevölkerung nicht wirklich sagen lässt, wann in Tamil Nadu Jahresbeginn ist. Der tamilische Kalender unterscheidet sich von dem gregorianischen, und dementsprechend auch die Monate und der Beginn des neuen Jahres. Mehrmals wurde das Neujahrsfest zwischen zwei Monaten hin- und hergeschoben, wodurch die Regierung dieses Mitte Januar, eben zu Pongal, feiert, während die Bevölkerung größtenteils erst drei Monate später ins neue Jahr startet.

Unabhängig davon ist das Erntedankfest Pongal unumstritten eines der wichtigsten Feste Tamil Nadus, und wird auch dementsprechend zelebriert. Insgesamt vier Tage wird ausgelassen gefeiert. Dabei haben wir natürlich wieder einige neue Bräuche kennengelernt.

Reiche Ernte

Besonders wichtig ist das traditionelle Kochen der Süßspeise „Pongal“, welche Jakob und ich um fünf Uhr morgens in Keela Eral mitverfolgten. Dabei wird, absichtlich, um Überfluss nach der Ernte zu demonstrieren, der Topf zum Überkochen (ist die wörtliche Übersetztung von „pongal“) gebracht. Das aus Reis, Milch und dem Sirup des frisch geernteten Zuckers bestehende Gericht, war uns schon davor bekannt, da es bei Feierlichkeiten jeglicher Art gerne serviert wird. Dieses mal hat es aber natürlich besonders gut geschmeckt, wie wir es sämtlichen Frauen versichern mussten, welche uns alle von ihrer eigenen Kreation probieren lassen wollten. Da man nicht unhöflich sein will, haben wir natürlich auch versucht, möglichst viele Angebote anzunehmen. Irgendwann war man aber natürlich einfach voll und satt, sodass wir irgendwie zu verstehen geben musste, dass man nichts mehr essen kann, ohne die Gefühle der Köchinen zu verletzten.

Da nicht sämtlicher Zucker im Topf landen kann, wird zu dieser Zeit auch gerne das Zuckerrohr einfach so abgebissen und gekaut. Ich musste jedoch schon vor der Hälfte einer über 30 Zentimeter langen Stange aufgeben. War dann doch etwas zu süß… Allgemein wird einem um diese Zeit alles mögliche angeboten, was bis vor kurzem noch auf den Feldern war. Sobald man einer Familie im Dorf einen Besuch abstattet, werden fleißig Erdnüsse und Bohnensamen aus Schalen und Hülsen gepult. Über die Festtage ist es üblich, Freunden und Verwandten Süßigkeiten vorbei zu bringen und ein frohes Fest zu wünschen: Pongal valthukkal!

Free Hugs for Bulls

Die Hostel Boys sind über die Feiertage natürlich nach Hause gegangen, um mit ihren Familein zu feiern. Nur ein Junge blieb im Hostel. Als wir mal schauen wollten, was der so treibt, haben wir ihn im Hostel, mit gebanntem Blick auf die Mattscheibe, vorgefunden. Gerade lief eine Live-Übertragung eines weiteren Brauchs des Pongal-Fests. Bei dem Namen Yeru Thazhuvuthal (den Bullen umarmen) könnte man sich zu recht die Frage stellen, was denn daran so spannend sein soll. Wenn man aber weiß, dass die Bullen nicht wirklich auf Kuschelkurs unterwegs sind, wird daraus ganz schnell ein ziemliches Spektakel. Scharenweise versuchen Junge Männer ihr Glück, den Bullen zu fassen zu bekommen, wobei regelmäßig auch mal der ein oder andere Kandidat mit dem Huf oder den gewaltigen Hörner unfreiwillig Bekannantschaft macht. Erst kürzlich wurde in der Zeitung von bereits sechs Todesfällen berichtet! Am besten, man schaut sich einfach mal ein Video dazu an, dann bekommt man von der ganzen Geschichte eine sehr gute Vorstellung.

Es ist immer wieder sehr interessant, neue Feste kennenzulernen und immer mehr von der Kultur in Tamil Nadu zu entdecken. Vor allem, wenn man selbst mitfeiern kann und die Einheimischen dich an ihren Bräuchen teilhaben lassen. Wie bereits in vorherigen Einträgen erwähnt, gefällt es mir sehr, wie ausgelassen man hier die Feste feiert und Traditionen am Leben hält. Ich hoffe, ich konnte ich einen guten Eindruck vom Pongal-Fest verschaffen.

Liebe Grüße,

euer Hendrik