Auf unserem Vorbereitungsseminar in Deutschland haben wir viel zum Thema „kulturelle Unterschiede“ gelernt: zum Beispiel, dass man in Indien nur mit der rechten Hand essen darf, da die linke Hand die „Klohand“ ist. Man gilt als unrein, sobald man diese zum Essen benutzt. Solche Besonderheiten hatten wir hier in Afrika jedoch bisher noch nicht gefunden…
Die Welt war noch in Ordnung – Bis wir eines schönen Freitagabends mit den Schwestern gemütlich am Esstisch saßen …
Doch bevor ich dazu komme, will ich noch kurz auf das Phänomen einer „Informationskette“ eingehen: normalerweise huscht eine Neuigkeit, ein Gerücht oder generell eine Information von einer Person zu nächsten und irgendwann kommt sie bei einem selber an. Manchmal auf Umwegen, aber meistens kommt es einem irgendwann zu Ohren. Manchmal tatsächlich noch nach zweieinhalb Monate … wer hätte das gedacht.
Unser Gespräch ging wie immer darum, wie der Tag so war. Und dabei kamen wir auf Fußbändchen. Ja, Fußbändchen sind eigentlich ziemlich harmlos. Wer kennt sie nicht? Sie sind eben Schmuck, genauso wie man Ohrringe trägt, Halsketten oder Ringe. Gibt es dahinter eine tiefer Bedeutung? Na ja, …. eigentlich nur dass sie ein Zeichen für Prostitution sind, aber vielmehr nicht. Halt – bitte – wie war das?
Ja ungefähr so lief das Gespräch zwischen den Schwestern und uns, als wir im Wohnzimmer gegessen haben . Das Thema wurde nicht mit Absicht angeschnitten, es war eher ein Zufall, eine kleine Nebenerwähnung im Nachsatz. Johanna und ich mussten erstmal aus unserer Schockstarre erwachen und Annika hat ihren Lachanfall erst mal hinter sich bringen müssen, da sie im Vergleich zu uns keine getragen hat 😇
In Benin ist es tatsächlich so, dass Fußbändchen ein Zeichen dafür sind, dass man ein „freies Mädchen“ ist, also sich zur Prostitution frei gibt…herrje!!! Das war eine Überraschung, aber wir haben sie jetzt abgelegt und haben die Empörung der fehlenden Aufklärung überwunden.

Wenn wir schon dabei sind – Es gibt auch das Phänomen, dass man gar nicht in der Informationskette vorkommt. Also nicht, dass man nur ganz am Ende vorkommt. Ne, manchmal
vergisst man uns arme Volontäre einfach ganz 😉 Beispielsweise wenn Feiertage sind. Ich war gerade dabei meiner Tata am Ende eines Tages „Au revoir, à demain“ zu sagen – was „Auf
Wiedersehen, bis morgen“ heißt -als sie mich fragend anschaut und mich frägt, weshalb ich morgen arbeiten möchte. Das war gestern das zweite mal der Fall. Denn in Benin sind sowohl das Christentum als auch der Islam anerkannte Staatsreligionen. Daher war wie in Deutschland auch hier der erste November ein Feiertag. Im Islam ist der 20. November ein Feiertag und daher wieder ein freier Tag für uns. Aber es ist immer wieder schön, spontan zu erfahren, dass man nicht arbeiten muss, sondern frei hat. An Überraschungsmomente jeglicher Art habe ich mich mittlerweile gewöhnt 🙂

Aber an alles möchte ich mich dann doch nicht anpassen, was hier kulturell als „korrekt“ gilt. Denn beim Thema Rolle der Frau und was sie bei sich tragen dürfen, sind wir auf definitiv unterschiedliche Ansichten gestoßen.
Emanzipation ist das Schlagwort schlecht hin. Klar, wir sind daheim in Deutschland mit dem Bild aufgewachsen, dass man als Frau Karriere machen kann, Führungspositionen übernehmen kann und nicht unbedingt Erzieherin, sondern auch KFZ Mechanikerin als Beruf wählen kann. Wir haben aber auch genug staatliche Unterstützung um Karriere und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Das ist hier natürlich schwieriger, da Benin eines der ärmsten Länder der Welt ist und dabei die Unterstützung für Karriere-machende Frauen ein schwieriges Thema darstellt. Dennoch gibt es gerade in unseren Projekten einige Beispiele, bei denen nicht das typische Klischee erfüllt wird, dass das Frauenbild in Benin ein rückständiges ist. Beispielsweise ist die Chefin von Annikas Projekt eine Frau.
Doch sobald es beispielsweise um das Thema Heiraten geht, merkt man dann doch die Unterschiede: Männer können hier beispielsweise mehrere Frauen haben. Das ist nicht immer der Fall, aber immerhin… Oft werden die Ehemänner für die Frauen von den Eltern ausgewählt. Je nachdem wie reich die Familie dann aber ist, kann die Frau auch „nein“ sagen und selbst entscheiden, wen sie heiraten möchte. Es gibt also beide Seiten in Bezug auf die Stellung der Frau, auch wenn man das nicht immer sofort denkt, wenn man an afrikanische Länder und ihre Modernisierung denkt!

So und dann kam das Taschenmesser. Ein Taschenmesser ist unglaublich praktisch. Es hat ein Scherchen, ein Flaschenöffner, einen Schaschlikspieß und klar: ein Messer – was zum Vespern echt praktisch ist. Johanna hat deshalb auch immer eines bei sich.
Eines nachmittags, kam ein Arbeitskollege dann im Maison de l ́espérance vorbei, um sie abzuholen, da sie zusammen in die Bibliothek gehen sollten. Als er jedoch das Taschenmesser gesehen hat, hat er diesen Plan erst ein mal für kurze Zeit vergessen. Warum? Ja, das war mal wieder einer der Überraschungsmomente in Bezug auf kulturelle Unterschiede. Er hat sie völlig verwundert angeschaut und hat uns dann erklärt, dass wenn eine Frau hier in Benin ein Taschenmesser bei sich trägt, ist das ein Zeichen dafür, dass sie zu viel trinkt, also Alkoholikerin ist. Du schaust jetzt gerade etwas verwirrt? Ja, So war auch unsere Reaktion 🙂 Auch das ist mal wieder ein Paradebeispiel dafür, dass wir in der Infokette über Aufklärung hier relativ weit hinten
stehen 😇 seither befindet sich das Taschenmesser etwas besser versteckt in Johannas Rucksack. Aber damit noch nicht genug:
Denn dann hat derselbe Arbeitskollege auch noch mein Pfefferspray entdeckt, das ich immer bei mir trage. Das war sozusagen das Sahnehäubchen, das noch oben drauf kam und ihn vollends verwirrt hat :). Denn, dass ich das bei mir trage, hat ihn sehr erstaunt. Und nicht nur ihn.
Wenn ich gefragt werde, was ich so in Deutschland für Hobbies hatte und ich erzähle, dass ich Kampfsport/Selbstverteidigung gemacht habe, ist die Reaktion eigentlich immer: „Als Frau?“. Ich denke mir dann immer, ́Ja logisch! Als Frau hat man doch erst recht einen Grund, sich verteidigen zu können. Männer sind nun mal stärker und müssen sich meistens nicht gegen Frauen zu Wehr setzen lernen. ́ – Außer evtl. mit Worten… das ist manchmal ausbaufähig ;).

Na ja, das Fußbändchen habe ich bereitwillig abgelegt, aber mein Pfefferspray bleibt mein treuer Begleiter, sowie das Taschenmesser in Johannas Rucksack 😇
Sonst wünsche ich Dir noch eine schöne Woche und hoffentlich bis zum nächsten mal!