St. Martin: Teilen im Foyer
«St. Martin , St. Martin, St. Martin ritt durch Schnee und Wind, sein …» so werden Christine und ich immer wieder singend begrüßt, seit dem wir beschlossen haben am 15.11 mit den Kindern St. Martin nachzufeiern.
Unsere Frage, ob jemand die Geschichte des Heiligen zusammenfassen könnte, bejahten einige selbstbewusst. Allerdings stellte sich sehr bald heraus, dass sie ihn mit dem barmherzigen Samariter aus der Bibel verwechselten. Also machten Christine und ich es uns zur Aufgabe, am Samstag St.Martin nach Togo zu bringen.
Das Abendprogramm bestand aus 5 Teilen: Zuerst fasste ein Mädchen des Foyers die Geschichte St. Martins zusammen. Danach teilte einer der Jungs, der sich sehr für Poesie interessiert, seine Gedanken zur Relevanz des Teilens und ermutigte alle, sich ein Beispiel am Heiligen zu nehmen. Anschließend sang ein Chor aus den Kindern, die sich am meisten angestrengt hatten, das eingeübte Martinslied, während 4 weitere Kinder das Gesungene nachspielten. Danach folgte ein Sketch, welchen ich mit den Jungs vorbereitet hatte, um hervorzuheben, was für eine Freude es macht, großzügig zu sein.

Diese Freude kam spätestens am Höhepunkt des Abends bei den Kindern an, als wir zum Schluss die Martinsbrötchen verteilten, für die Christine und ich den ganzen Tag über in der Küche gestanden waren (und großzügig Streichhölzer verwendeten, bis wir verstanden haben, wie der Gasofen funktioniert). Am Ende waren es über 85 Brötchen. Diese verteilten wir, indem wir jeweils 2 Kinder feierlich ein Brot überreichten, das sie vor allen anderen an der Bruchstelle in der Mitte teilten. Als der offizielle Teil vorbei war und noch ein paar Brötchen für die Älteren gerettet wurden, die noch nicht da waren, verbrachten wir den restlichen Abend damit, mit den Kindern zu singen und zu tanzen. Um 21 Uhr fiel uns dann auf, dass alle vor lauter gute Laune ihren Hunger vergessen hatten, sodass sie eine Stunde später aßen als gewohnt. Das war es aber auf jeden Fall wert!


Solidarität mit den Gefangenen
Solidarität mit denen zu zeigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, ist etwas, was wir hier auch erleben durften, als wir mit unserem Père und ein paar seiner Mitarbeiter den minderjährigen Gefangenen einen Besuch im Gefängnis abstatteten. Das war eine unfassbar intensive Erfahrung. Die Sekretärin hatte uns bereits vorgewarnt, dass sie es kaum aushält, an die Bedingungen der Gefangenen vor Ort zu denken.
Als wir also ankommen, erkennt man an dem Maschendraht auf dem Gebäude, dass es sich um ein Gefängnis handeln muss. Ein weiteres Indiz sind die vielen Soldaten, die uns in Empfang nehmen und kritisch kontrollieren, welche Lebensmittel wir als Geschenk für die Gefangenen mitgebracht haben.
Nachdem der Père den Anlass unseres Besuchs erklärt hat und wir unsere Taschen mit allen Wertsachen abgegeben haben, schlägt er vor, ein gemeinsames Foto zu machen, wobei die Soldaten uns auffordern nicht schüchtern zu sein und uns neben sie zu stellen.

Als wir danach eintreten dürfen, bemerken wir beide einen sehr strengen Geruch. Die Malereien an den Wänden stellen harte Schicksäle dar, die wohl teilweise jene derer widerspiegeln, die sich innerhalb der Mauern befinden. Sie führen uns zum extrem klimatisierten Büro des Direktors, der uns hingegen wirklich warm empfängt.
Ein Besuch bei den Minderjährigen wird uns gestattet, doch für die Erwachsenen hätten wir uns im Vorhinein die Erlaubnis einholen müssen. Christine und ich waren beide darüber verwundert, wie unkompliziert wir ohne weitere Identifikation eintreten durften. Einen Moment später werden wir Frauen von den Männern getrennt, um eine sehr gründliche Abtastung bei uns durchzuführen.
Danach werden wir in einen Hof geführt, indem über 60 Frauen auf dem Boden verteilt sitzen und Essen zubereiten. Es dauert einen kurzen Moment bis wir verstehen, dass das bereits die Gefangenen Frauen sind, welche sich in einer Art Halbkreis um die Tür der Minderjährigen befinden. Als wir durch diese eintreten, formieren sich 17 junge Männer zwischen 15 und 19 Jahren vor uns, um den ermutigenden Worten unseres Paters zuzuhören. Er drückt ihnen sein Mitgefühl aus und ermutigt sie, auf das Leben nach dem Gefängnisaufenthalt hin zu arbeiten. Außerdem erklärt er ihnen unsere Solidarität im Gebet, bevor er ihnen eine Bibel als Geschenk übergibt. Die Jungs hören zu, aber man sieht ihnen teilweise an, dass sie in Gedanken woanders sind.
Die Vorstellung, dass einige von ihnen womöglich unschuldig sind ist wirklich zermürbend.
3×2 zu multiplizieren macht gleich 6 Kinder auf allen Vieren
Nach einer weiteren Woche intensiven Lernens mit den Kindern, bemerken wir Fortschritte beim Lesen und auch bei der Konzentration. Dadurch, dass wir bei den Jungs jeweils eine halbe Stunde bei einer Gruppe verbringen, bevor wir zur nächsten wechseln, wissen die Kinder die Zeit, die sie mit uns zum Lernen haben inzwischen auch produktiv zu nutzen. Teilweise kommen sie auch selbst mit spezifischen Fragen auf uns zu, sodass wir uns auf die verschiedenen Tafeln aufteilen und die Kinder nach ihrer Lernzeit abfragen. Gerade die Mädchen machen einen sehr guten Job dabei, sich gegenseitig zu helfen.

Sobald die Lernzeit vorbei ist, Fragen uns die Kinder inzwischen fast täglich, ob wir mit ihnen Akrobatik Übungen machen können, da wir Aufstellungen aus dem Internet abfotografiert haben, die wir in Gruppen von 3 bis 10 Kindern mit ihnen durchführen. Das ist nicht nur ein praktischer Weg, um mit ihrer Überenergie umzugehen, sondern fördert auch ihre Kreativität. Es dauerte nur einige Figuren, bis sie sich selbst wie ein Flugzeug formiert haben und sämtliche andere eigene Ideen umgesetzt haben.
Die Kinder sind aber nicht nur unglaublich sportlich, sondern auch erfinderisch. Christine und ich konnten es nicht glauben, als wir gesehen haben, dass sie neben Autos aus Dosen auch Kreisel und funktionierende Mikros aus nichts anderem als zerschnittenen Plastikflaschen, Netzen und Lollistielen gebastelt haben.

Snack mal ein bisschen anders
Am 21.11. kommt es nach unserer Arbeit zu einem angenehmen Missverständnis: Der Père lädt uns zum Essen ein. Christine und ich hatten vor einer Woche verabredet, dass es bald an der Zeit war, einen Snack-Tag umzusetzen, an dem wir uns durch das Streetfood testen, dass uns mit jedem weiteren Tag mehr dazu verlockt es zu probieren. In meiner Euphorie hatte ich dem Père von unserem Plan erzählt, sodass er vorschlug, wir sollten diesen Snacktag an einem Freitag nach der Arbeit gemeinsam machen. Nur wurde aus dem Snack ein ganzes Abendessen und wir fanden uns in einem Restaurant mit angenehmer Musik wieder und verspeisten einen leckeren Fisch mit Salat und Pommes. Das war ein wirklich schöner Abend, vor Allem weil wir wissen, dass er selbst nie wirklich Zeit für sich hat, da sowohl die Arbeit mit den Kindern, als auch sein Priesterberuf ihn wirklich von morgens bis abends beansprucht.


Nach dem Essen zeigt er uns den großen Marché von Kara, wo wir abends ein Unterhaltungsprogramm ansteht und einige Stände versuchen, uns ihre Produkte zu verkaufen. Als wir den Bereich verlassen, für den man Eintritt zahlen musste, erwarten uns bereits ein paar Straßenkinder am Auto, um uns um unser Eintrittsticket zu beten. Was auch immer eure Vorstellung von Straßenkindern ist, diese sahen definitiv nicht so aus. Sie waren extrem gut gekleidet und sahen ordentlich und sauber aus. Aber der Schein trügt. Denn auch wenn sie sich durch den Tag zu bringen wissen und nach außen hin mit Glitzergürteln und dicken Ketten auftreten, so haben doch einige von ihnen keine Familie mehr, keine Ausbildung und keine Schulbildung. Sie schlafen auf dem Boden des Marchés oder auf herumstehenden Tischen, verkaufen tagsüber vielleicht Lebensmittel oder Drogen und klauen sich durch die Gegend, ohne eine wirkliche Zukunftsperspektive zu haben.
Kleine Kinder mit großen Träumen
Deshalb war es höchste Zeit, genau dort bei den Kindern anzusetzen. Neue Perspektiven und Ziele. Christine und ich bringen also am Wochenende Wasserfarben, Wachsmalkreide und Buntstifte mit und fordern die Kinder auf, uns von ihren Traumberufen zu erzählen, um sie anschließend zu visualisieren. Sie sollen sich vorstellen wo sie in 10 Jahren sind, und sich ein Bild davon zeichnen. So haben wir letztendlich eine bunte Sammlung an Träumen und motivierenden Ideen, die wir in den Lernräumen der Kinder mit Namen unterzeichnet aufhängen. In unseren beiden Foyers befinden sich abgesehen von Doktoren, Lehrern und Fußballern, auch Polizisten, Mechaniker und Priester der Zukunft.


Christkönigs-Prozession: Singend und tanzend durch Kara
Als die Kinder des Foyers am 23.11. zu Christkönig am Gemeinde Gottesdienst teilnehmen durften, konnte man vor lauter Begeisterung der Kinder beinahe meinen, dass es wohl doch noch mehr Priester werden. Meine Müdigkeit nach den 3 1/2 Stunden Messe verschwindet in dem Moment, als die Kinder uns in ihrer Festtagskleidung nach der Messe in die Arme rennen und uns mit ihrer Begeisterung anstecken, während sie uns von der Prozession erzählen, die am Nachmittag stattfindet.
Diese startet um 15 Uhr bei der Universität Karas, von wo aus wir bis 19 Uhr mit der ganzen Gemeinde, bestehend aus ca. 3000 Personen, singend, tanzend und betend die Stadt durchqueren und Jesus als Gott proklamieren. Bei der Gemeinde angekommen, tanzen wir noch bis 21 Uhr mit allen Gemeindemitgleidern, bevor wir mit den Kindern ins Foyer fahren, um den Tag mit Ihnen zu beenden. Was für ein Tag!
Ausflug an den Fluss: Ruhe und Lobpreis
Offensichtlich brauchten wir unseren freien Tag am 24.11. dann auch wirklich. Christine und ich haben bis 8 Uhr geschlafen, dann gefrühstückt und uns aschließend auf eine Entdeckungstour in der Umgebung begeben. So folgen wir einfach wieder dem Fluss, werden von einer netten Dame auf eine schöne Stelle hingewiesen und rasten an einem schattigen Plätzchen auf einem Felsen, bei dem wir uns für die nächste Stunde gegenseitig unsere Lieblings Lobpreislieder zeigen. Ich bin völlig in Gedanken versunken, als Christine sich aufs Klo verabschiedet und beginne nach einigen Minuten mich zu fragen, ob sie nicht etwas falsches gegessen hat.

Vorbereitungen vor der Abfahrt
Bevor wir am 03.12. mit Père Jonathan nach Lomé gefahren sind, um unser Visum zu verlängern, mussten wir noch ein paar Vorbereitungen treffen. Zum einen haben wir über einen ganzen Vormittag hinweg für beide Foyers Adventskalender aus Papier gebastelt, welche wir mit unterschiedlichsten Weihnachtsliedern gefüllt haben. Zum anderen haben Christine und ich uns auf die Suche nach einer Bank gemacht, um Bargeld für die Visumsverlängerung abzuheben. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir nur 40 Minuten hin laufen müssen, sodass wir an unseren Spaziergang beim Rückweg eine Entdeckungstour durch die umliegenden Viertel gemacht haben.

Ab nach Lomé, ab zu den Noviziaten
Nach ca. 9 Stunden Fahrt, mit zwei Pausen, kommen wir im Novoziatshaus der Salesianer an, wo wir uns von Frère Christoph verabschieden. Frère Christoph ist der erste Salesianer, der aus Kara kommt. Er hat als jugendlicher Maurer tatsächlich dabei mitgeholfen, unser Haus in Kara zu bauen. Leider hat er inzwischen große gesundheitliche Beschwerden, die ihm das Sprechen erschweren und unter anderem auch Wassereinlagerungen im Fuß, die ihn beim Laufen behindern. Trotz der oftmals hügeligen Strecken, bestand der Bruder darauf, das Noviziatenhaus in Lomé zu verlassen, welches ihm eine bessere gesundheitliche Versorgung garantierte, um nach Kara zurückzukehren. Allerdings ist dieser Versuch gescheitert, sodass er nach einem ein-monatigen Aufenthalt hier mit uns gemeinsam wieder dorthin zurück gebracht wurde.
Das Haus und der große Garten sind wirklich wunderschön gestaltet und die Erzählungen unseres Direktors von seinen Erinnerungen zur Zeit seines eigenen Noviziats spielen sich automatisch wie eine Art Film in meinem Kopf ab. Begeistert stimme ich ihm zu: «C‘est vraiment idyllique!» („Hier ist es wirklich idyllisch!“)

Abends werden wir wieder herzlich dabei den Postnoviziaten aufgenommen, die uns bei unserer Ankunft im Oktober bereits beherbergt haben. Nach dem Essen organisieren wir noch ein paar Dokumente für unser Visum, welches wir gleich am nächsten Tag unkompliziert für nur 100€ beantragen. Wir sind richtig erleichtert, als es keine weiteren Probleme gibt und ich frage Christine spaßeshalber, ob da nicht ein Haken dran ist.
Tatsächlich ja. Denn am nächsten Tag um 10 Uhr, als wir das Visum in den Händen halten, ist dieses nur für die nächsten 3 Monate gültig. Wir fragen noch ein Mal nach, aber uns wird erklärt, wir müssten nun alle 3 Monate für die Verlängerung zurückkehren. Jedes Mal wieder 100€. Aber gut, immerhin war es für dieses Mal geschafft. Wir genießen den restlichen Tag, indem wir Weihnachts Einkäufe für die Kinder auf dem Markt und in der China Mall machen. Außerdem fahren wir danach (endlich!) zum Strand, wo Christine und ich wie kleine Kinder in den Wellen tanzen und ich vor lauter Überenergie sogar tatsächlich mit meiner Kleidung ganz ins Wasser stolpere. Den restlichen Tag setzen wir uns in den Garten und schreiben Blog. Am nächsten Tag besuchen wir Katja, meine Freundin, die ebenfalls einen Freiwilligendienst in Lomé macht und statten ihrem Heim einen Besuch ab. Außerdem besuchen wir auch ein paar Kontaktpersonen der Kinder gemeinsam mit unserem Père.

Am letzten Nachmittag treffen wir Père Boris, den Sekretär der Universität in Lomé, mit dem wir die Moral hinter künstlichen Befruchtungen diskutierten (und das auf Französisch – Frau Riesow muss wirklich stolz auf mich sein!). Abends lud er uns in eine Strandbar mit Live Musik ein, wo wir die lange Wartezeit aufs Essen vor lauter Erzählungen und Lachen beinahe vergessen. Zwischendurch hat es mich wirklich meine ganze Selbstbeherrschung gekostet, nicht noch ein Mal ans Meer hinunter zu rennen. Diesmal nicht unbedingt zur Abkühlung. Denn zum ersten Mal hatte es eine angenehme Temperatur seit wir angekommen waren und ich schloss meine Augen, um mich ganz auf das Geräusch der aufeinander prallenden Wellen zu fokussieren und sie in meiner Erinnerung für Kara einzufangen.
Die gesamte Rückfahrt nach Kara verbringen wir mit interessanten Unterhaltungen mit unserem Père über die Kinder des Foyers, die Politik Togos oder auch unsere schönsten Kindheitserinnerungen zugebracht. Kein Wunder, dass wir allein zum Essen angehalten haben und die Zeit wie im Flug vergangen ist. In Kara angekommen feiern wir mit ihm noch zu dritt einen kleinen Gottesdienst und obwohl er uns vorschlägt uns danach auszuruhen, bestehen wir darauf, ins Heim zu den Kindern zu fahren, die uns schon ziemlich abgegangen sind.

Auch wenn ich aufgrund der Temperaturen hier immer noch Schwierigkeiten habe zu glauben, dass es tatsächlich schon Dezember ist, wünsche ich euch allen eine besinnliche Adventszeit und hoffentlich auch ein bisschen Schnee! (Christine und ich würden gerade alles dafür tun)
Wenn ihr es auf dem Herzen habt, würde ich mich auch wieder sehr über eine Spende freuen:
Konto:
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