12.10. 2025 – 10.11.2025
Anschluss gefunden!
Völlig vertieft ins Gespräch mündet unser Spaziergang an einer felsigen Flussstelle. Das muss wohl einer der schönsten Rückzugsorte der Umgebung sein. Ich will gerade vorschlagen, den Sonnenuntergang hier zu genießen, als Christine dämmert, was sie mir bereits ins einer unserer 9-minütigen Audios erklärt hat: Dämmerung existiert hier nicht. Somit sind die Sommerabende hier viel mehr lau als lang. Um Punkt 18:15 Uhr ist es nämlich dunkel, sodass wir uns schnell auf den Rückweg zu unserem Haus begeben.
Allerdings reicht die Zeit noch aus, um unterwegs zwei Bekanntschaften zu machen. Zuerst werden wir von Marie-Reine, einer Studentin, angesprochen, die sich über unsere Herkunft erkundigt und uns anbietet, uns bei Gelegenheit die Umgebung zu zeigen. Dieses Angebot nehmen wir gerne an, während wir ablehnen, ihren Bruder näher kennenzulernen. Als wir erklären, dass wir hier nicht auf Partnersuche, sondern zum Arbeiten sind, reagiert sie verwundert: „Aber ihr seid doch schön!“
Schön ist vor allem, wie unkompliziert und herzlich die Begegnungen hier ablaufen. Kaum 20 Schritte weiter sprechen uns nämlich schon wieder zwei Rechtsstudenten namens Blaise und Will an, mit denen wir den Deal aushandeln, dass wir ihnen Deutschnachhilfe im Gegenzug zu Kabyè-Unterricht (der lokalen Sprache) geben.
Gut verhandelt: Kabyè gegen Deutsch Nachhilfe (13.10.)
Gesagt, getan. Da Montag unseren freien Tag darstellt, kommt Will bereits am nächsten Tag zu uns und wir lernen draußen unter einem überdachten Aussichtspunkt bei strömendem Platzregen abends knapp eineinhalb Stunden wichtige Vokabeln. So etwa: N‘lohalé (Guten Tag), Buwänsima (Wie geht‘s?) und Labale (Danke), wobei Christine und ich Spaß dabei haben uns abends unplausible Eselsbrücken zu bauen, die sich in den Folgetagen als erstaunlich hilfreich herausstellen werden. Kein Wunder, dass wir uns direkt merken konnten, dass „man deng dang“ „Bitte“ heißt, als uns aufgefallen ist, dass man es wie einen genuschelten Appell an die Höflichkeit verstehen kann: „Man denk dran“ (bitte zu sagen). Bevor wir Will nach Hause bringen, nehmen wir uns für die richtige Aussprache gegenseitig noch Phrasen auf Deutsch und Kabyè auf.
Was wir jedoch leider nicht aufgenommen haben, ist, wie er plötzlich beginnt mit einer Hand auf der Brust stolz unsere Nationalhymne zu singen. Christine und ich mussten unglaublich lachen, aber hatten auch ordentlich Respekt dafür, dass er sie beinahe fehlerlos zitierte. Hier gibt es 2 wichtige Hymnen: Die Don-Bosco-Hymne und die Nationalhymne des Landes. Die Mädchen des Gymnasiums hier haben uns ein paar Tage später stolz beide vorgesungen und uns dazu gebracht, ihnen unsere ein wenig zu übersetzen.
Christine und ich leben hier im Zentrum auf einer Art riesigen Campus mit den 8 Brüdern und Patres zusammen, die ebenfalls die Direktoren des Gymnasiums, des Internats und des Ausbildungszentrums hier vor Ort sind, während das Foyer, in dem wir arbeiten, mit dem Auto ca. 20 Minuten von hier entfernt ist. Insgesamt befinden sich hier im Zentrum ca. 400 Schüler, in deren einzelnen Klassen wir uns jeweils als Volontäre vorstellen durften und mit denen wir auf dem Hof immer wieder ins Gespräch kommen.
Ab an die Arbeit, ab ins Foyer (14.10. )
Heute wurden wir in unsere Arbeit im Foyer (Kinderheim) eingeführt. Der Direktor Père Jonathan hat uns über die Hintergründe der Kinder im Alter zwischen 7 und 22 Jahren informiert. Gründe können sein: Zwangsheirat, Verbannung (aufgrund von Hexerei), (sexuelle) Misshandlungen, Gefängnisaufenthalte,…
Es gibt ein Foyer für die insgesamt 42 Jungs: Foyer Immaculée Conception (Foyer unbefleckte Empfängnis) und eines für die 14 Mädchen: Foyer Jean Paul II (Foyer Johannes Paul II), wobei Christine und ich uns aufteilen, sodass wir jeweils eine Woche im einen und die darauffolgende Woche im anderen Foyer verbringen. Warum es bei den Mädchen gerade mal ein Drittel der Jungsanzahl ist? Weil es hier viel schwieriger ist, Straßenmädchen zu finden. Die meisten zwingen sich, die Situation innerhalb der Familie auszuhalten, um sich die Blöße des Lebens auf der Straße zu ersparen, welches letztlich meistens in Prostitution endet. Somit ist das Leid der jungen Mädchen und Frauen hier weniger transparent als das der Jungs, die sich, aufgrund der niedrigeren Hemmschwelle, offensichtlich auf dem Marché (Marktviertel) tummeln.


„Le jour de la jeune fille“ (11.10.-22.10.)
Umso wichtiger ist die Aufklärung der jungen Mädchen und deren Autonomisation, was glücklicherweise zum Anlass des „Tag des jungen Mädchens“ ab dem 11.10. hier gebührend gefeiert wurde.
Der „Tag des jungen Mädchens“ wurde hier in allen Einrichtungen gefeiert. So durften Christine und ich am 22.10. vormittags spontan eine Motivationsrede an die Mädchen des Ausbildungszentrums richten, die typische „Männerberufe“ lernen, wie etwa in der Schreinerei oder auch Schweißerei. Das Motto lautete: „Das Mädchen, das ich bin, die Veränderung, die ich in mir trage!“

Anschließend wurden alle Schüler des Ausbildungszentrums und der Schule für ein ein Fußballmatch zwischen den Mädchen versammelt, wobei Christine und ich uns in gegnerischen Mannschaften bei praller Mittagshitze behaupten sollten. Letztendlich war es ein Unentschieden, wobei unsere Mannschaft nur mithilfe der letzten 5 Entscheidungs-Elfmeter den Sieg eingeholt hat. Aber hey, immerhin habe ich ein Tor geschossen, wurde von einer Horde Jungs anerkennend in den Schwitzkasten genommen und durfte mir für den Rest des Tages den Spitznamen Lamine Yamal anhören!

Autonomie für die Mädchen im Foyer
Auch den Mädchen des Foyers wurde die Autonomisation junger Mädchen im Rahmen eines Workshops näher gebracht. Allerdings mussten wir dafür aus Platzgründen eine Räumlichkeit im Jungsfoyer nutzen. Hier erwartete uns bereits die Sekräterin Robertha mit einer PowerPoint zum Thema, die sie jedoch aufgrund von Verbindungsproblemen auf eine Papiertafel übertragen musste.
Das darauffolgende Programm hat alles wichtige abgedeckt: Zunächst einmal die Erwartungen und Fragen der Kinder: Wie hat sich eine Frau in der Gesellschaft zu verhalten? Was ist ein junges Mädchen? Und was sind ihre Rechte? Daraufhin folgte die Definition eines jungen Mädchens. Mein Lieblingsteil war der Moment, als die Kinder reihum von ihren Träumen erzählten, wobei für jede einzeln anerkennend geklatscht wurde. Abgesehen von dem Traum „Miss Togo“ zu werden, fielen Berufe wie Anwältin, Schuldirektorin und Mechanikerin. Anschließend folgte ein Input zur Unterscheidung verschiedener Bereiche der Autonomisation, wie beispielsweise die physische (z.B. Alltagsbewältigung im Haushalt), intellektuelle (selbst zu denken und zu beurteilen), oder auch ökonomische (z.B. finanzielle Unabhängigkeit) Autonomisation.


Um sicher zu gehen, dass die Mädchen verstanden hatten, worum es ging, wurden sie in zwei Gruppen aufgeteilt, um im nächsten Schritt zwei Sketche zu erarbeiten, die die gesellschaftliche Relevanz der autonomen jungen Frau widerspiegelten. Zum Ende hin wurde der Nachmittag mit gemeinsamen Tänzen gefeiert. Nach der Evaluation durften sich die Mädchen über Orangenlimonade und eine kleine Kekspackung freuen, angesichts derer man fast meinen konnte, dass die sonst so lauten, maskulinen Jungs zum ersten Mal eine leise Sehnsucht nach Weiblichkeit verspürten.
„Je peux le faire, je vais le faire!“
1 Se former – sich bilden
2 Découvrir ses talents – seine Talente entdecken
3 Avoir de l’audace – mutig sein
4 Se résister – sich durchsetzen
5 Rester femme – Frau bleiben
Das sind die 5 Tipps nach Reckya Madagou, einer beninischen Politikerin, um ein erfolgreiches, autonomes Mädchen, zu werden.
Diese 5 Anhaltspunkte gemeinsam mit der Einstellung «je peux le faire, je vais le faire!» („ich kann es tun, ich werde es tun“) sind mir sehr im Gedächtnis geblieben. So musste ich ziemlich schmunzeln, als ich die verwirrten Blicke der Jungs des Foyers sah, die mich Freitag abends davon abbringen wollten, ihnen beim Mais pellen zu helfen und mich vor Blasen warnten, während ich mich ihnen mit den Worten „je peux le faire, je vais le faire!“ widersetzte.
Zusammenfassend war der erste Monat für mich hier unfassbar intensiv. Ich bin sprachlich, physisch (durch die ermüdende Hitze und die vielen Tänze) und auch emotional (wegen der tragischen Hintergründe der Kinder) wirklich an meine Grenzen gekommen. Diese Grenzerfahrungen erlebe ich aber als durchaus positiv und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht dankbar dafür bin neue Französisch Vokabeln, einen neuen Tanz oder eine neue Strategie gelernt zu haben, mit der ich versuche einzelne Kinder zum Lernen zu motivieren.
Nun möchte ich mich noch bei euch für eure Geduld bedanken! Durch unsere unzuverlässige Internet Verbindung ist es leider nicht ganz einfach meine Blogs direkt nach Beendigung zu veröffentlichen, aber ich gebe mein Bestes! Außerdem noch ein riesen großes Danke schön für die ganzen Spenden! Meine monatliche Spendenübersicht zeigt für November 1850,50€ an und ich kann euch gar nicht in Worte fassen, wie viel mir eure Unterstützung bedeutet! Wirklich vielen, vielen Dank! Allerdings können diejenigen, die keine Adresse angegeben haben, diese gerne noch ergänzen, sodass eine Spendenquittung ausgestellt werden kann!
Das Spenden Konto lautet:
Konto:
DON BOSCO MISSION
LIGA BANK MÜNCHEN
IBAN: DE66 7509 0300 0102 1418 76
BIC: GENODEF1M05
VERWENDUNGSZWECK: Gladys Gerezgiher S25VB005
oder wieder über den Spendenlink: www.donboscomission.de/volontariat/2025/spenden/gladys
Christine
Freu mich schon auf Teil 3 😁
gigiinafrica
Ist in Arbeit 🤌🏽
Ulla Fricke
Liebe Gladys, danke für den schönen Beitrag! Ich werde ihn auch mit meinen Kolleginnen teilen, vielleicht übernehmen wir davon was. Es ist toll zu lesen, was konkret passiert, wenn wir mit Mädchen arbeiten- das hast du super beschrieben. Ich höre zwischen den Zeilen die Anstrengung die der Alltag (noch) kostet. Das geht vorbei… Liebe Grüße aus Bonn von Don Bosco Volunteers Ulla
gigiinafrica
Liebe Ulla,
danke für die ermutigendenden Worte! Es ist wirklich erfrischend zu sehen, wie die Mädchen hier gefördert werden. Ich merke auch jeden Tag wie es leichter wird, beispielsweise gewöhne ich mich langsam an die Hitze!
Liebe Grüße und spätestens bis zum Zwischenseminar! 🙂
Gerezgiher
Bin stolz auf dich