Hallo ihr lieben Blogleser-/innen,
wie viele von euch mit Sicherheit wissen hat für mich jetzt endgültig der Endspurt hier in Benin begonnen. Mit sehr gemischten Gefühlen erlebe ich die letzten Tage in Afrika. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass diese unglaublich intensive, verrückte und einzigartige Zeit, die ich als Volontärin hier gelebt habe nun so schnell vorbeigegangen ist. Ich habe das Land und auch seine Bewohner wirklich fest in mein Herz geschlossen! Doch wie sich die letzten Wochen und Tage des Abschiednehmens angefühlt haben, davon möchte ich euch aus Zeitgründen von Deutschland aus berichten.
Heute möchte ich euch noch einmal mitnehmen auf einen meiner Lieblingsplätze in Cotonou:

Den großen Markt Danktokpa, der mir nach einem Jahr in dieser großen, lauten Stadt so richtig vertraut geworden ist. Den Weg zur Baracke SOS, bei dem ich mich zu Beginn immer wieder verlaufen habe, könnte ich inzwischen sogar blind finden. Und auch der Anblick von den vielen wandelnden Marktverkäuferinnen überrascht mich nicht mehr. Sie gehören hier einfach zu meinem Alltag dazu. Auf dem Weg zur Arbeit treffe ich immer auf bekannte Gesichter verkaufender Mädchen, die mich stürmisch mit „Tata Franziiiiii!! Hallo, Wie geht es dir?!“ begrüßen. Sogleich versprechen sie mir später zur Baracke SOS zu kommen und unsere Wege trennen sich wieder. Bereits im letzten November habe ich in einem Blogeintrag die Situation meiner Baracke-Mädels beschrieben. Nochmal zum Nachlesen unter dem Titel „Das Leben eines Marktmädchens.“

An der Seite meiner Mädels

Den heutigen Eintrag möchte ich jedoch den Jungen widmen, die ebenfalls auf dem großen Markt anzutreffen sind:

1) Straßenkinder auf dem Markt Danktokpa

Sie leben im Schatten des Marktes. Ich sehe sie eigentlich jeden Tag und doch sind sie für mich unsichtbar. Die Kinder, überwiegend Jungs, die auf der Straße leben. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, warum er getrennt von seinem Elternhaus lebt. Sei es, weil die Eltern ihr eigenes Kind nicht versorgen können, sei es, weil ein Kind Zuhause geschlagen wird…
Und so treffen trotz unterschiedlichster Beweggründe die allermeisten Straßenkinder Cotonous auf dem großen Markt Danktokpa zusammen. Dort finden sie kleine Arbeiten, mit denen sie sich ernähren können. Dort sind sie frei und müssen sich an keinerlei Regeln und Pflichten halten, die ihnen ihre Eltern auferlegen. Und gleichzeitig verschwimmt die Erinnerung an ihr Elternhaus von Tag zu Tag mehr, im dichten Gedränge der Marktstände. Und die Aussicht eines Tages zurück nach Hause zukehren wird stetig geringer.
Um diese Straßenkinder, die eigentlich fast ausschließlich Jungs sind, kümmern sich die Don Bosco Brüder. Gleich neben der Baracke SOS der Don Bosco Schwestern haben die Brüder eine eigene kleine Hütte für die Straßenkinderjungen errichtet. Dorthin können die Jugendlichen jederzeit kommen und werden betreut. Im Prinzip läuft es dort genauso ab, wie in der Baracke der Schwestern: es wird gespielt, gebastelt oder es finden Alphabetisierungskurse statt. Zudem liegt der Schwerpunkt der Arbeit darin, die Jungs zu sensibilisieren, damit sie die Straße eines Tages verlassen und zurück zu ihren Eltern kommen können. Sie werden zum Beispiel in verschiedene Zentren gebracht, wo sie betreut werden und Sozialarbeiter ihre Eltern ausfindig machen. Oder sie werden von den Betreuern eingeladen zumindest für die Nacht in ein Haus namens „Mama Margerite“ zu kommen, wo die Jungs einen sicheren und kostenlosen Schlafplatz bekommen.
Ihr fragt euch jetzt bestimmt warum ich die ganze Zeit nur von den Jungen berichte. Das hat den einfachen Grund, dass es in Cotonou viel weniger Straßenkinder- Mädchen gibt als Jungs. Denn die meisten Mädchen sind Vidomegon und wurden von sogenannten Tutrice gekauft, bei denen die Mädels wohnen. Tagsüber werden sie zum Verkaufen auf dem Markt geschickt oder müssen im Haushalt mithelfen. Die wenigen Mädchen die trotz allem auf der Straße landen, können für einen sehr geringen Geldbetrag im Maison de l’Esperance (Ausbildungszentrum der Schwestern) übernachten.

2) Wie die Straßenkinder an ihre tägliche Mahlzeit kommen…

…Das und vieles mehr erfuhr ich vor einiger Zeit als ich mit einem Sozialarbeiter eine „Sionage“ = eine Art Rundgang auf dem Markt machen durfte.
Zu Beginn unserer Entdeckungstour erklärt mir der Sozialarbeiter folgendes:

„Ich versuche bei meinen Rundgängen in einen ersten Kontakt mit den Jungs zu treten. Dabei begegne ich den Jugendlichen immer auf Augenhöhe, während ich mit ihnen scherze oder auch selbst einmal bei ihren kleinen Arbeiten mit anpacke. So gewinnen die Kinder Vertrauen zu mir und wir können ins Gespräch kommen. Bei den meisten Jungs bin ich zum Beispiel unter dem Namen „Bokota“= Fischkopf bekannt :)“

Ich schmunzle und wir setzen unseren Marsch fort und kommen in Abschnitte des Marktes, wo ich mich alleine noch nie hin getraut habe. Hinter all den Verkaufsständen versteckt gehen wir hinunter zur Lagune.

Ein Haufen Knochen kurz vor dem Verbrennen

Dort ist alles voller Müll. Wir treffen auf ein paar ältere Jungs, die vor einem Haufen von Ziegen- und Ochsenhörnern stehen. Später werden die Jugendlichen diesen Haufen anzünden und die Aschereste der Knochen nach Nigeria verkaufen. Das so entstandene Material wird dort verwendet, um Plastikteller herzustellen, erzählen mir die Jungen stolz.

Etwas später treffen wir wieder auf ein paar Jugendliche, die in großen Säcken alte Blechdosen, Schuhe oder alte Kabel gefunden haben. Sie versuchen nun durch das Verbrennen der Fundstücke Metall, Blech oder Aluminium zu gewinnen. Für ein gesammeltes Kilo „Dosenblech“ bekommen die Jungs 30 Cent, was ihnen für eine gute Mittagsmahlzeit reicht. Der Mann der die Jungs bezahlt steht in engem Kontakt mit den Don Bosco Brüdern und versucht die Jugendlichen ebenfalls zu sensibilisieren.

ein Haufen Schrotteile für eine Mahlzeit

Auf dem Rückweg unseres Rundgangs kommen wir noch am Zwiebelmarkt vorbei. Dort lagern über hunderte Säcke voller Zwiebeln auf großen Containern. Ich treffe dort auf den etwa 11- jährigen „Mustafa“, der einem kleinen Sack voller Zwiebeln in der Hand hält. Die Zwiebeln hat der Kleine wohl aus den netzartigen großen Zwiebelsäcken herausgeklaut. Er wird sein kleines Säckchen nun für ebenfalls 30 Cent verkaufen. Mein Kollege weist die Kleinen immer wieder daraufhin, sich nicht beim Klauen ertappen zu lassen. Mit Dieben, mögen sie auch noch so jung sein, geht die Bevölkerung hier im Allgemeinen nämlich nicht gerade zimperlich um.

Während unseres Rundgangs bleibt „Bokota“ immer wieder stehen und redet mit einzelnen Jungen über die Gefahren und Tücken des Marktes. Vor allem in der Nacht treiben verschiedene Banden ihr Unwesen, handeln mit Drogen oder greifen unschuldige Kinder an. Es ist traurig, aber es ist die harte Realität, von der ich tagsüber, während dem bunten Treiben der Marktleute überhaupt nichts mitbekomme.
Der kleine Rundgang auf dem Markt hat mich sehr beeindruckt, da mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, wie viele verschiedene versteckte Aktivitäten im Schatten des Marktgewimmels ablaufen. Die Jungs haben sich durch diese kleinen Tätigkeiten eine Möglichkeit geschaffen wie sie sich selbst versorgen können. Doch trotz allem leben die Kinder von der Hand in den Mund und sind völlig auf sich alleine gestellt. Ich finde es traurig zu sehen wie die Straße die Kinder so in den Bann zieht, dass ihre Eltern und einen geregelten Alltag völlig vergessen. Deshalb geht es in nahezu allen Gesprächen mit den Jungen darum, ihnen klar zu machen, dass sie wieder nach Hause bzw. in einen geregelten Alltag zurückkehren müssen. Durch die Arbeit der Don Bosco Brüdern und Don Bosco Schwestern auf dem Markt Danktokpa haben sowohl Jungen als auch Mädchen, die auf der Straße leben zumindest einen Anhaltspunkt. Dort treffen sie auf Leute mit denen sie reden können und die ihnen zu hören.

3) „Lass mich doch ein Kind sein!“
Ein ganz besonderes Erlebnis, war für mich der 16.Juni, der Tag des afrikanischen Kindes. An diesem Freitagmorgen fand ein großer Protestmarsch über den Markt statt. Über 50 unserer Barack-Mädchen, mehrere Marktfrauen und einige der Straßenkinder Jungs, sowie wir Mitarbeiter, kamen an diesem Tag zusammen. Jeder von uns trug ein T-Shirt auf dem stand: „Laisse-moi etre un enfant!“- „Lass mich ein Kind sein!“

großer Umzug über den Markt

Und unter diesem Motto zogen wir singend und tanzend durch die Straßen des Marktes. Ich fühlte mich so richtig dazugehörig und hatte immer eine Gruppe Mädels an meiner Seite. Gemeinsam machten wir die Menschen aufmerksam auf die Rechte der Kinder! Ein Recht auf Bildung. Ein Schutz vor Ausbeutung und Misshandlung. Ein Recht ein Kind zu sein. Nach einem einstündigen Marsch trafen wir uns alle vor der Baracke SOS. Der Polizeichef und die Mitarbeiter appellierten an die Eltern, sowie die Tutrice(?), den Kindern ihre Rechte zuzugestehen. Zuletzt gab es noch Sandwichs und Bissapsaft für all die mutigen Mädchen, die an diesem besonderen Tag ihre Waren vom Kopf genommen und für ihre Rechte demonstriert haben. Und wie es sich bei Festen gehört, wurde zum Abschluss noch so richtig getanzt!! Es lag eine wahnsinnige Fröhlichkeit in der Luft, wie ich sie noch selten gesehen habe. Meine Mädels dachten nicht daran, dass sie später wiederverkaufen müssen. Nein, die Mädchen waren in diesem Moment freie Kinder, tanzten und waren glücklich!

Let’s dance!

Nun ist es wirklich soweit und in bereits zwei Tagen werde ich meine Rückreise nach Deutschland antreten. Doch wie versprochen erfahrt ihr bald wie es mir im letzten Monat ergangen ist!
„Elabooo“- Tschüss und bis bald,
eure Franzi!