22.10.2025
7:55
Jetzt bin ich schon fast drei Wochen hier in Togo. Genauer gesagt, 19 Tage. Eigentlich gar nicht so lang. Aber es ist soooo viel schon passiert!
Vorweg noch eine kleine Anmerkung: Ich beschreibe hier meine SUBJEKTIVE Wahrnehmung und natürlich habe ich die Tendenz, eher die Dinge zu erzählen, die anders sind als bei uns, auch wenn vieles sehr ähnlich ist. Behaltet das bitte beim Lesen im Hinterkopf.
Bonne arrivée à Lomé !
Am 3. Oktober bin ich in Lomé, Togos Hauptstadt, gelandet. Am Flughafen dann Geld wechseln (die Währung hier ist Franc CFA und 650 Francs entsprechen 1 Euro), Visa-Kontrolle, durch den Zoll und dann nach draußen. „Willkommen im Gewächshaus“, dachte ich mir, als ich die Tür öffnete. Kurz stand ich etwas verloren herum, ließ mir direkt eine SIM-Karte andrehen (wahrscheinlich viel zu teuer, aber gut) und entdeckte dann die beiden Salesianer, die mich abholten. Père Samuel und Frère Victor sind beide aus der Gemeinschaft aus Kara angereist. Allerdings nicht extra, um mich abzuholen, sondern wegen der Beerdigung der Mutter eines Mitbruders, wie sie mir auf dem Weg zur Maison Don Bosco, unserer Unterkunft, erzählten.
Dort bekamen wir von allen Seiten ein herzliches „Bonne arrivée“ zu hören, uns wurden direkt unsere Zimmer gezeigt und dann gab es erst einmal etwas zu essen. Reis mit Tomatensoße, Fisch und „Piment“, also scharfer Gewürzpaste aus Chili. Und mit scharf meine ich richtig, richtig scharf. Mir hat ein Teelöffel für meine komplette Portion gereicht und ich bin noch nicht einmal besonders empfindlich. Zu trinken gab es leckeren Mango-Ananas-Saft.
Gut gesättigt ging ich dann ins Bett.

Das Frühstück am nächsten Morgen hat mich überrascht, weil es so europäisch war: Baguette, Margarine, Schokocreme und für uns Gäste sogar Wurst und Käse. Fasziniert hat mich auch, wie viele junge Salesianer da in einem Speisesaal saßen. Auf meine Frage hin wurde mir gesagt, dass momentan 68 (!) Salesianer dort wohnen. Das liegt daran, dass dort die Post-Novizen leben und in der Uni gleich nebenan studieren. Trotzdem: 68 sind schon eine ganze Menge.
Gartenarbeit aus Langeweile
Vormittags war ich auf mich gestellt. Mir war langweilig. Also beschloss ich, in den Garten zu gehen. Da dort gerade lauter Salesianer am Arbeiten waren, machte ich spontan mit. Eine sehr gute Entscheidung, weil ich so direkt mit den Leuten ins Gespräch kam. Ich wurde immer wieder für mein gutes Französisch und meine Arbeitsfähigkeit gelobt. Für mich war es sehr lustig, dass sie ehrlich überrascht waren, als ich ihnen versicherte, dass es nicht das erste Mal in meinem Leben sei, dass ich Pflanzen goss. Das musste nämlich ziemlich viel getan werden mangels Regen – obwohl gerade Regenzeit war. Dann bepflanzten wir ein neues Salatbeet.
Anschließend wurden bei einem Baum mit einer Machete mehrere Äste (ca. 15 cm Durchmesser) abgeschlagen. Ich fragte warum. „Um die Wespennester wegzuschlagen“, war die Antwort. Erst da fielen mir die kleinen Nester der sehr großen Wespen auf. Größer als Hornissen waren die! Zusammen schleppten wir die Äste (natürlich mit gebührendem Abstand zu den Wespennestern) raus aus dem kleinen Garten und warfen sie auf einen Haufen im großen Garten hinterm Haus.

Die Zeit verging wie im Flug und schon war es Zeit für das Mittagsgebet und das anschließende Essen. Obwohl ich viel getan hatte und das Essen sehr lecker war, aß ich nicht besonders viel. Die Hitze machte mich eher müde als hungrig. Zum Glück war nach dem Mittagessen Zeit für ein kleines Mittagsschläfchen. Und zum Glück gab es in meinem Zimmer einen Ventilator, der für erträgliche Temperaturen sorgte. Das heißt, die Temperatur war eigentlich gar nicht so sehr das Problem. Vielmehr war es die hohe Luftfeuchtigkeit und dass nicht einmal ein leichtes Lüftchen wehte. Jedenfalls war ich dankbar für den Ventilator.
Große Trauer und große Freude
Um 14:00 Uhr versammelten wir uns, um zum Trauergottesdienst für die Mutter von Père Paul zu fahren.
Es war ein schöner Gottesdienst, alles war sehr feierlich. Die meisten Leute trugen traditionelle Gewänder und waren richtig schick angezogen. Ich, die noch nicht an meine schicken Kleider ganz unten in meinem Rucksack rangekommen war, war massiv underdressed. Aber gut.
Obwohl der Großteil der Messe auf Éwé (der lokalen Sprache) stattfand, konnte ich dem Geschehen dank der überall gleichen katholischen Litugie halbwegs folgen. Und ich nutzte die Zeit, in der ich sowieso nichts verstand (z.B. Lesung und Predigt), um mich in der Kirche umzuschauen. Da saßen 121 Leute. Bei einem Trauergottesdienst für eine 90-Jährige. Bei uns wäre das höchstwahrscheinlich nicht der Fall. Allerdings spielt hier der Glaube auch insgesamt eine viel größere Rolle. So heißen bespielsweise viele Läden „Dieu bénit“ (Gott segnet), „Dieu est grand“ (Gott ist groß) oder auch „Tout à Dieu“ („Alles gehört Gott“).
Nach dem Trauergottesdienst – bzw. nachdem wir nach dem Trauergottesdienst noch eine ganze Weile uns mit allen möglichen Leuten unterhalten haben – sind Père Samuel, Frère Victor und ich dann weiter zur Hochzeit vom Cousin von Père Samuel. Also die beiden Extreme innerhalb weniger Stunden. Erst traurig feierlich, dann ausgelassen fröhlich. Beides total spannend.
Ein Hoch auf das Hochzeitspaar
Als wir in den Festsaal kamen, sah vieles aus wie bei uns: Runde Tische mit weißen Tischdecken und edlem Gedeck, weiße Stoffe als Wanddekoration, darauf weiße Blumen. Was ich so jedoch nicht aus Europa kannte, war das Podest am Kopfende des Saales. Darauf stand ein Tisch in U-Form, an dem in der Mitte das Hochzeitspaar, daneben ihre Eltern und weitere Ehrengäste, saßen.
Père Samuel war einer der Ehrengäste und wurde direkt von einem Kellner an seinen Platz geführt. Wir bekamen erst einen Platz hinten in der Ecke zugewiesen, wurden jedoch kurz darauf vor allen Leuten ganz nach vorne in die Mitte umgesetzt. Frère Victor und mir war die ganze Aufmerksamkeit ziemlich unangenehm. Wir kannten ja nicht einmal die Namen des Brautpaares und sollten dann im Mittelpunkt ihrer Feier stehen? Komisches Gefühl. Gleichzeitig empfanden die Menschen es, glaube ich, als große Ehre, dass wir da waren und wollten das eben auch zum Ausdruck bringen.
Die Stimmung war toll: Gutes Essen (Vorspeise: verschiedene Salate; Hauptspeise: Reisküchlein, Fufu, Erdnusssoße, Tomatensoße, gegrillter Fisch und Fleischspieße; Nachtisch: Hochzeitstorte), eine Live-Band und immer wieder zwischen den Gängen Tanzeinheiten.
Über meine Versuche, mitzutanzen, wurde herzlich gelacht und dann zeigten sie mir einige Tanzschritte. Ich tat mein Bestes. Gut war es immer noch nicht, aber wir hatten unseren Spaß zusammen.

Plötzlich war das Brautpaar verschwunden. Gerade als ich fragen wollte, warum, kamen sie wieder. Sie hatten sich umgezogen. Jetzt trug die Braut nicht mehr Weiß, sondern ein buntes Kleid, das aus dem gleichen Stoff genäht war wie der Anzug des Bräutigams. Vorneweg liefen die Brautjungfern, hinter dem Paar die Eltern der beiden. Und so zogen sie tanzend bis in die Mitte des Saales ein. Dort wurde dem Hochzeitspaar ein Schal umgelegt (ebenfalls aus dem Stoff ihrer Gewänder) und die beiden tanzten nur zu zweit.
Allerdings nicht für lange, schnell schlossen sich Gäste an. Eine richtige Tanzfläche gab es übrigens nicht, es wurde einfach der freie Platz zwischen den Tischen genutzt.
Mir wurde eine Konfetti-Kanone (mit Spielzeug-Euros als Konfetti) in die Hand gedrückt und ich sollte es über den beiden Geld regnen lassen. Ich stellte mich allerdings ziemlich blöd an und es klappte erst nach mehreren Versuchen.
Später, als die Torte angeschnitten wurde, sollte ich eine Champagnerflasche öffnen. Gleiches Problem. Zum Glück waren alle sehr nachsichtig mit mir!
Die Torte selbst konnte ich leider nicht probieren, denn direkt nach dem Anschneiden gingen wir.
Abends schickte ich eine neunminütige Sprachnachricht an Gladys. Ich war gerade einmal 26 Stunden im Land und hatte schon so viel erlebt, was ich ihr (und jetzt euch) unbedingt erzählen wollte!
Sonntag heißt Messe
Der nächste Tag war ein Sonntag und Sonntag heißt Messe.
Der Gottesdienst war wirklich schön, weil er so lebendig war. Die jungen Salesianer hatten die Lieder schon die ganze Woche geübt, sangen mehrstimmig und begleiteten sich dabei selbst auf dem Klavier, E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug, Trommeln und mehr. Das war schon sehr beeindruckend!
Ich hätte gerne mitgesungen, aber leider gibt es hier kein Gotteslob, sodass man, wenn man das Lied nicht auswendig kennt, nur mitklatschen kann. Ein großes Problem ist das allerdings nicht, da viele Leute die Lieder kennen und da viel das Prinzip „erst Vorsänger, dann alle“ genutzt wird.
Beerdigung – Feier des Lebens
Nachmittags fuhren wir dann zur Beerdigung von Père Pauls Mutter (die, für die der Trauergottesdienst am Vortag stattgefunden hatte).
Ich war zunächst irritiert, als Père Samuel das Auto parkte und meinte, wir seien angekommen, denn es war weit und breit kein Friedhof zu sehen. Stattdessen war ein in einer Seitenstraße ein Pavillon aufgebaut. Darunter standen mehrere Stuhlreihen für die Gäste. Drei Reihen links, drei rechts, den Blick auf die Mitte gerichtet.
Dort stand stand ein Tisch, an dem ein älterer Herr saß. Bevor sie sich setzten, gingen die Gäste zu ihm und gaben ihm Geld. Für die Finanzierung der Beerdigung, wie mir erklärt wurde. Er nahm das Geld jedes Mal mit einer kleinen Verbeugung an, nahm dann sein Mikro in die Hand und verkündete, wer gerade wie viel gegeben hatte und welcher Familie die Person angehörte.
Die Familienzugehörigkeit konnte man auch an der Kleidung erkennen. Mitglieder einer Familie trugen denselben Stoff, wie eine Art Uniform. Der eigene Twist wurde dann durch den Schnitt reingebracht.
Es wurde getrommelt und dazu getanzt, die Stimmung war fast schon ausgelassen und überhaupt nicht traurig. „Wir feiern ihr langes und erfülltes Leben“, erklärte mir der Salesianer neben mir. „Wenn jemand erst im hohen Alter stirbt, ist das ein Grund zur Freude. Stirbt jedoch eine junge Person, findet die Beerdigung in einem kleineren Rahmen und deutlich schneller nach dem Ableben der Person statt (sie war nämlich bereits einen Monat zuvor verstorben). Und da wird auch nicht getanzt und gefeiert, da gibt es einen Trauergottesdienst, es geht auf den Friedhof und das war’s dann.“
Nach einiger Zeit trugen Tänzer den Sarg aus dem Haus und machten sich auf den Weg zum Friedhof. Genau da begann der Platzregen. Innerhalb kürzester Zeit war ich komplett durchnässt. War aber nicht schlimm, es war ja trotzdem warm.
Das eigentliche Begräbnis fand auf einem kleinen Friedhof statt und unterschied sich nicht wesentlich von Begräbnissen bei uns.
Der anschließende Empfang fand bei den Don-Bosco-Schwestern statt. Wieder überraschten mich die Leute mit ihrer Gastfreundschaft, mir wurde direkt angeboten, dass ich bei meinem nächsten Aufenthalt in Lomé bei ihnen unterkommen könne.
Welche Sprachen sprichst du?
Ein Gespräch bei dem Empfang hat mich sehr nachdenklich gestimmt, daher möchte ich hier noch kurz davon erzählen, auch wenn es nichts mit der Beerdigung zu tun hat. Dazu muss ich kurz ausholen: Ich werde oft gefragt, woher ich komme und wie viele Sprachen ich spreche. Ich antworte dann: „Ich bin Deutsche, komme aber aus Brüssel und ich spreche Deutsch, Französisch, Englisch und ein bisschen Niederländisch.“ Viele Leute sind dann sehr beeindruckt. So. Das ist in Europa nicht anders.
ABER: Als ich den einen Salesianer dann zurückfragte, wie viele Sprachen er spreche, meinte er: „Nur eine, nur Französisch.“
Dass das nicht stimmte, hatte ich jedoch wenige Minuten zuvor mit eigenen Ohren gehört, als er mit einem Mann Éwé gesprochen hatte. Also sprach ich ihn darauf an. Die Antwort:
Das zählt nicht, das ist ja meine Muttersprache.
Mich hat dieser Satz sehr betroffen gemacht, denn er zeigt, wie sehr sich koloniales Gedankengut verfestigt hat und wie viel Selbstbewusstsein den Leuten auch heute noch durch dieses Gedankengut genommen wird. Bloß weil eine Sprache nicht europäisch ist, wird sie von vielen als weniger wertvoll angesehen. Nicht von allen, wohlgemerkt, und viele zählen mir auch die westafrikanischen Sprachen auf, die sie können. Ich weiß auch nicht, ob er das nur zu mir gesagt hat, weil ich aus Europa komme und er davon ausging, dass FÜR MICH nur europäische Sprachen zählen oder ob er bei jemand anderem auch so reagiert hätte. Keine Ahnung. Das Gespräch ging auch noch weiter und wir haben uns intensiv über Sprache und ihre Rolle in einer Kultur, über das Aussterben von Regionalsprachen – in Deutschland wie in Togo – und vieles mehr unterhalten.
Dennoch ist dieser Satz „Das zählt nicht, das ist meine Muttersprache“ mir am stärksten im Gedächtnis geblieben.
Und jetzt noch an den Strand
Dieses eher bedrückende Thema soll jedoch nicht das Ende dieses Eintrags darstellen, der Sonntag ist schließlich noch nicht vorbei. Zum krönenden Abschluss unserer Zeit in Lomé (am nächsten Tag stand die Weiterreise an) hatte Père Samuel nämlich versprochen, mit Frère Victor und mir an den Strand zu gehen. Wobei wir unter „an den Strand gehen“ sehr unterschiedliche Dinge verstehen. Wir gingen nämlich in ein Restaurant und aßen dort Pizza. Es war durchaus lecker und die Musik, die der DJ auflegte war gut, aber man konnte das Meer nur hören und nicht sehen.
Auf meine Bitte hin fuhren wir also anschließend woanders hin, um tatsächlich das Meer zu sehen. Fehlanzeige. Erst nach vier oder fünf Versuchen fanden wir endlich einen Ort, an dem ich endlich die Füße ins Wasser halten konnte. Wie im Film breiteten wir alle drei die Arme aus und jubelten.
03.11.2025
11:53
Das war also mein erstes Wochenende in Togo. Seitdem ist natürlich schon wieder unglaublich viel passiert und ich komme mit dem Berichten gar nicht mehr hinterher.
Genau einen Monat bin ich jetzt schon hier und ich bin total glücklich. Ich mag die Arbeit mit den Kindern, ich verstehe mich sehr gut mit den Salesianern und noch besser mit Gladys. Die Hitze ist momentan erträglich, das Essen schmeckt lecker und heute konnte ich sogar ausschlafen. Nur den Blog lasse ich schleifen, weil ich einfach keine Zeit dafür habe bzw. wenn ich Zeit habe, dann habe ich keine Lust. Man kennt’s. Aber ich gebe mir Mühe, ihr Lieben!
Auch diesmal freue ich mich über eure Kommentare: Fragen, Anregungen, Updates, was bei euch gerade so los ist – immer her damit!
Und ganz besonders freue ich mich natürlich auch über eure finanzielle Unterstützung! An dieser Stelle nochmal vielen Dank an alle, die bereits gespendet haben und vielen Dank im Voraus für die Unterstützung, die noch kommt! Zum Spenden könnt ihr einfach hier klicken. Danke!
Ulla Fricke
Liebe Christine, man spürt deine Begeisterung und Freude in jeder Zeile. Ich hoffe sehr das bleibt so! Schön dass du dich auch so gut mit gladys verstehst…Liebe Grüße Ulla von Don Bosco Volunteers…
ADG
Danke für Dein Update, das habe ich mit großem Vergnügen gerade gelesen, es war die perfekte Lektüre für eine kleine kreative Pause! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Liebe Grüße Annick