Es ist kurz vor 6:00 Uhr morgens. Gleich wird der Wecker klingeln. Irgendwie werde ich immer kurz bevor der Wecker klingelt wach. Aber umso besser, so kann ich ihn wenigstens noch ausstellen und die Kinder werden nicht auch alle wach.
Wir sind in einer Schule untergebracht – die Klassenräume wurden kurzerhand zu Schlafsälen umfunktioniert. 19 Kilometer von Kara entfernt sind wir seit einigen Tagen in Ketao, um das Feriencamp zu genießen. Weg vom Alltag, weg vom Lernen, weg aus dem gewohnten Umfeld. Etwas neues kennenlernen. Ausflüge initiieren, Schnitzeljagd veranstalten, Fußballturnier spielen, Filmeabend aber auch ein gemeinsam organisierter Spieleabend. Hier kann sich das Kinderherz austoben.
In einer halben Stunde werde ich die Kinder wecken um sie mit dem Frühsport fit für den Tag zu machen. Keine Sorge, Frühsport hört sich militärischer an als es ist. Wir laufen ein bisschen hin und her, machen Hampelmänner, natürlich ermitteln wir auch, wer die meisten Liegestütze schafft. Nach guten 15 Minuten sind alle wach und es geht ab zum Duschen. Ganz einfach auf offener Wiese mit Eimern und kleinen Schälchen, mit welchen man sich das Wasser aus den Eimern schöpft. Ein einfaches Frühstück und die Aktivitäten können beginnen. Vormittags haben die Kinder Freigang. Sie dürfen in mindestens Dreier-Gruppen Ketao erkunden. Ein mulmiges Gefühl habe ich schon bei der Sache. Allerdings muss man den Kindern auch ein gewisses Vertrauen entgegnen und ihnen ermöglichen eine gewisse Selbstständigkeit anzueignen. In der Zeit, wo die Kinder weg sind, bereiten wir die Schnitzeljagd vor. Nach guten zwei Stunden kommen die ersten Kinder zurück. Die Schnitzeljagd ist zum Glück schon vorbereitet – hoffentlich findet keiner einen Hinweis, bevor das Spiel überhaupt losgeht. Bis zum Mittagessen dürfen die Kleinen auf dem Gelände der Schule spielen mit den aus Kara mitgenommenen Spielen, oder eben mit dem, was da ist: Natur. Zum Glück hat keiner einen Hinweis gefunden. Nach dem Mittagessen: die obligatorische Siesta. Danach die Schnitzeljagd, ein voller Erfolg. Abendessen, Film anschauen – der Tag verfliegt.
Nur noch eine Woche, dann fliege auch ich zurück nach Deutschland…
… ich werde wach. Alles nur ein Traum. Seit über drei Monaten bin ich nun schon wieder zurück in Deutschland. Irgendwie ist immer noch alles so unwirklich und diese Momente holen mich öfter ein, als mir vielleicht lieb ist. Zurück in Deutschland zu sein bedeutet zurück zu sein, wo Menschen überall und zu jeder Zeit auf ihr Smartphone gucken. Zurück in Deutschland zu sein bedeutet zurück zu sein, wo die Leute mit einer Scheuklappe durch die Welt gehen und die anderen gar nicht wahrnehmen. Zurück in Deutschland zu sein bedeutet zurück zu sein, da wo ein schnelles und hartes Leben geführt wird. Alle Streben immer nur nach dem großen Ganzen. Leider wird dabei viel zu oft vergessen, die kleinen Glücksmomente mitzunehmen. Dabei sind es gerade die Momente die es einem ermöglichen zu leben. Das Zwischenmenschliche bleibt auf der Strecke.
Wie war das vor kurzem im Radio? Menschen aus reichen Ländern schlucken immer mehr Antidepressiva – obwohl es uns doch eigentlich so gut geht?! Ich möchte nicht weiter darauf eingehen.
Natürlich geht das Leben auch hier weiter, aber zur Zeit ist es noch sehr schwer, den deutschen Rhythmus mitzugehen.
Wir leben nach Uhren und Kalendern, denken wir haben alles unter Kontrolle. Aber welchen Teil unseres Lebens haben wir tatsächlich unter Kontrolle?
Ich denke gerne zurück an dieses Jahr denn es war ein Geschenk. Die Leute hier können nur schwer nachvollziehen wenn ich ihnen etwas von dem einfachen Leben erzähle und die meisten wollen es auch gar nicht hören. Oft wird man oberflächlich gefragt: Und wie war es? Eine Frage, auf die man keine Antwort geben kann. Wie soll denn ein Jahr gewesen sein? Kann man sagen ein Jahr war gut oder schlecht? Ich denke positive als auch negative Erfahrungen gehören einfach dazu. Es war auf jedenfall eine Erfahrung die meine Denkweise verändert hat. Ich würde mir für jeden Menschen wünschen, dass er diese Erfahrung machen könnte, denn dann würde man sich vielleicht auch wieder öfter mit Kleinigkeiten zufrieden geben und nicht auf dem Weg zum großen Glück so straight alles weitere vergessen, nur um am Ende anzukommen und festzustellen, dass es das gar nicht gibt.
I’m out
Theresa
wunderschön geschrieben lieber Dominic, und so wahr! Treibt mir gerade echt die Tränen in die Augen…
Juliana Gößmann
Mich haben Deine Gedanken auch sehr berührt )(obwohl ich diese Erfahrung noch nicht gemacht habe), Dankbar sein für unser schönes Leben und die der anderen schöner machen! das ist es!
Glaubst Du die Lebenseinstellung ändert sich durch eine solche Erfahrung für immer oder fällt man immer wieder zurück in alten Muster und muss sich deshalb immer wieder gegenseitig daran erinnern?
Benedict Steilmann
Ach Brunaldo, mein Alter! Du bist wirklich groß geworden im vergangenen Jahr. Das ist geballte Weisheit. Danke für den Anstoß.
Benedict
jakobschulte
Lieber Dominic,
das was du gerade durchmachst steht mir ja noch bevor. Allerdings glaube ich dir nachdem ich nun schon drei Monate hier bin das es verdammt schwer wird. Mais courage Dominic! Courage! Ich denke nach einer gewissen Zeit wirst auch du wieder gut zuhause ankommen. Und lass dir gesagt sein, hier in Kara erinnern sich alle noch oft aber vor allem gerne an dich.
sonnige (und vor allem sehr warme) Grüße aus Kara
BonBon Mann
Die Welt ist nicht größer
als das Fenster, das du ihr öffnest.