Charli in Bolivien

Ein Jahr mal anders

Einen Tag über meine Schulter schauen

Ich stecke meine Karte in die Stempeluhr. Der dünne Karton saugt die Farbe der Uhrzeit meiner Ankunft auf: 14:00 Uhr.  Mein Arbeitsalltag unter der Woche kann beginnen. Und los geht´s!

Die nächsten vier Stunden sind meine deutsche Mitvoluntärin und ich in der ´sala una´ (Raum 1) mit Juan Pablo und Roxana, den zwei Erziehern am Nachmittag.
Unsere Gruppe, die ´comunidad infantil´, ist nachmittags im ´colegio Don Bosco´ (Schule) und hat Unterricht. Zu Betreuen haben wir in dieser Zeit drei Jungen, die nicht in die Schule gehen, weil sie wie Jacinto noch zu jung sind oder wie die anderen beiden nicht die geistige Kapazität dazu haben. In dieser Zeit spielen wir mit unseren Schützlingen etwas oder basteln. Fußball geht bei ihnen immer, aber auch Armbändchen und das Memorie, das wir zusammen gebastelt haben, vertreiben die Langeweile.

Wir basteln uns ein Memorie

 

Armbändchen machen jedem Spaß

 

Fußball in der Nachmittagssonne

 

Anna und ich sortieren zudem die Unterhosen für die Jungs nach Namen. Manchmal ist auch Zeit für spezielle, einmalige Arbeiten, wie den Teppich auf den Raum zuzuschneiden oder Hammer und Nägel mitzubringen und mal alle Stühle zu reparieren.

Die tägliche Wäsche zum Sortieren

 

Mit Hammer und Nagel geht es los

Mehr oder weniger pünktlich läutet um 16:00 Uhr die Glocke und ruft die Jungs, die gerade nicht in der Schule sind, und uns zur ´Merienda` (Zwischenmahlzeit am Nachmittag).
Danach kehren wir in die ´sala una´ zurück. Wenn nicht mehr so viel ansteht, unterhalten Anna und ich uns auch mal gerne mit den Erziehern über aktuelle Vorhaben, die Fortschritte der Jungs und bessern dabei etwas unser Spanisch auf.
Punkt 18:00 Uhr haben unsere Kids Schulschluss und stürmen aus den Klassenräumen des ´colegios´. Jetzt geht es richtig los! Glücklich sich endlich wieder bewegen zu können, rennen sie auf mich zu, holen sich eine Begrüßung ab, zeigen mit stolz ihre Hefteinträge, wollen fangen spielen. David klaut Messi wieder mal den Radiergummi und so trudeln die Jungs langsam am Tor ein, das die Schule vom ´Hogar´ trennt.
Von dort aus geht es für die 13 Jüngsten mit mir wieder in die ´sala una´. Nun heißt es „¡Cambiate rapido!“ (Zieh dich schnell um!) – raus aus der Uniform, rein in die Alltagskleidung.
Im Anschluss gibt es tagesabhängige Aktivitäten. Dazu zählen Sport, Spielzeit und auch einmal wöchentlich der Rosenkranz mit allen 43 Kids der ´comunidad infantil´.
19:00 Uhr klingelt wieder die Glocke und alle Jungs versammeln sich im Essenssaal. Nach einem Gebet verteile ich die Speisen auf alle acht Teller an meinem Tisch. Die Mahlzeit wird mit einem Rückblick auf das heutige Verhalten der Kinder, Ankündigungen für den nächsten Tag und einem Dankgebet geschlossen.

Ein Blick in den Essensraum

Doch um 19:30 Uhr ist der Tag noch nicht zu Ende! Jetzt geht es in die Dusche. Ich hole schnell frische Klamotten und die heute sortierten Unterhosen. Einer der Erzieher steht mit den Dreckspatzen schon im Duschraum. Sie waschen sich gründlich, trocknen sich ab, um sich danach bei mir gegen ein ´Gracias´ die Unterhose mit ihrem Namen und dazu Shorts und T-Shirt abzuholen. Währenddessen habe ich mindestens eine nasse Umarmung und jede Menge Schaumflocken abbekommen.
Der Raum liegt voll mit ausgezogenen Klamotten, Handtüchern, diversem Spielzeug und von den Füßen gefallenen Schuhen. Das gilt es wieder auf Vordermann zu bringen. Jeder einzelne hat seinen Dienst zu verrichten, bis die ´sala una´ wieder hergerichtet ist für den kommenden Tag.
20:30 Uhr Alle meine 13 Jungs sitzen endlich mit geputzten Zähnen, mit trockenem Popo und angezogen auf ihren Stühlen. Roxana reflektiert mit ihnen das heute Geschehene und schließt mit einem Gebet den Tag der Gruppe ab.
Wir machen uns auf zu den Schlafräumen. Jacinto (fünf Jahre) hält wie immer meine Hand, weil er Angst im Dunkeln hat. Franklin springt neben uns her und erzählt mir von seinem Tag. Im Schlafsaal angekommen schlüpfen alle nach und nach in ihre Betten. Die letzte Viertelstunde gehe ich von Bett zu Bett und sage gute Nacht. Einige wollen noch mit mir beten.
Isaias entschuldigt sich bei Gott für die schlechten Worte, die er heute gesagt hat. Er dankt für das Essen, das Spielen, das Dach über seinem Kopf, die Erzieher und die Voluntäre. Dann bittet er für alle Kinder, die das alles nicht habe.
So ein Gute-Nacht-Gebet kann so manche Anstrengung des Tages wieder wettmachen.
Es gibt noch eine Umarmung für jeden und einen Kuss aufs Haar und dann ist mein Tag auch schon zu Ende.

Ich stecke meine Karte in die Stempeluhr. 21:07 Uhr sagt die Tinte auf dem Karton. Zufrieden und erschöpft mache ich mich auf den Heimweg.

Vorheriger Beitrag

Ein Elfchen über mein Gepäck

Nächster Beitrag

Vom Verstehen und Verstandenwerden

  1. Alfred

    Liebe Charly,
    danke, dass wir so teilhaben können an Deiner Tätigkeit
    mit Text und Bildern.

    Dir wünsche ich weiterhin viel Freude und Gottes Segen für Deine Aufgaben.
    Freundliche Grüße aus den Haßbergen
    Alfred

    • Charlotte Kühnel

      Gerne Alfred! Ich hoffe, ich kann euch ein bisschen von meinem Leben hier zeigen.
      Freut mich, dass mein Blog so fleißig gelesen wird.
      Liebe Grüße!

  2. Thomas

    Kann ich mir gut vorstellen wie du das alles erledigst, freue mich dass es dir Spaß macht und das die Kinder bei dir die Behandlung bekommen die jedes Kind verdient. Ich denke das die Erfahrungen die du gerade erlebst dein Leben bereichern und deinen Horizont erweitern werden. Mach weiter so 🙂

    • Charlotte Kühnel

      Es erweitert hier ungefähr alle meine Kenntnisse. Ich kann wirklich behaupten, dass ich dein Jahr des Lernens vor mir habe! Aber es macht Spaß und Fortschritte ermutigen.
      Ich kann mir jetzt schon kaum vorstellen, nach einem Jahr alle hier lassen zu müssen…

  3. Carmen

    Hey Charlie,
    total schön zu lesen dein Tagesablauf. Ralf freut sich am meisten über das grün unterstrichene Taschenmesser:(

    • Charlotte Kühnel

      Das ist wirklich super! War eine gute Idee zum Mitnehmen 🙂
      Liebe Grüße an alle daheim

  4. Martin Hohler

    Hey, Martin hier.
    Bei meiner Mittagspause schaue ich immer wieder gerne bei den Blogs meiner Mitvolos vorbei. Das hört sich echt cool und spannend an was du machst. Danke für das geschriebene. Grüße aus der Elfenbeinküste.

  5. Hendrik Schwörer

    Hi Charly 🙂
    es macht wirklich unglaublich viel Spaß deinen Blog zu lesen. Deine Art zu schreiben gefällt mir sehr, da sie den offensichtlich spannenden und abwechslungsreichen Alltag gut rüber bringt und mich ab und zu zum Schmunzeln bringt 😅 Wünsche euch noch viel Spaß mit den Kids.

    Liebe Grüße aus Indien
    Hendrik

    • Charlotte Kühnel

      Hey Hendrik!
      Voll cool, dass du so gerne meinen Blog liest. Das freut mich total und motiviert mich :))
      Ich hoffe, dir geht es auch gut in deinem Projekt in Indien.
      Ein paar Sonnenstrahlen aus Bolivien!

Schreibe einen Kommentar

Ich stimme zu, dass meine Angaben aus dem Kommentarformular zur Beantwortung meiner Anfrage erhoben und verarbeitet werden. Hinweis: Sie können Ihre Einwilligung jederzeit für die Zukunft per E-Mail an info@donboscomission.de widerrufen. Detaillierte Informationen zum Umgang mit Nutzerdaten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Läuft mit WordPress & Theme erstellt von Anders Norén