24. Dezember

Am Heiligen Abend feierten die Jungen, die Mitarbeiter, Brothers, Fathers und Volunteers die Christmette. Eigentlich eine gewöhnliche Messe, wie in Deutschland auch. Zwei Ereignisse sind mir in Erinnerung geblieben, die in Deutschland eher befremdlich wären. Zur Gabenbereitung legten die Köchinnen Essen vor dem Altar nieder. Dies ähnelte der Hinduistische Anbetung von Göttern. In einem Tempel legt ein Hindu verschiedene Opfergaben, wie z.B. Kokusnüsse oder andere Lebensmittel, Blumenkränze oder Farben, nieder, um um die Gunst des jeweiligen Gottes zu buhlen. Die zweite Sache, die mir in Erinnerung geblieben ist, ist die Anbetung des Jesus Kindes nach der Messe. Egal ob Mitarbeiter oder Junge, jeder ging zur Figur des Jesus Kindes und ehrte es. Einige küssten die kleine Puppe, andere umarmten es, manche legten Blumen nieder. Diese Anbetung scheint mir ebenfalls der Hinduistischen Tradition entsprungen zu sein.

Anschließend brachten die Jungs das Jesus Kind aus der Kapelle in die Krippe auf dem Playground. Es gab Kuchen für alle Kinder und die andächtige Stimmung und Stille der Christmette verwandelte sich in ein lautes, ausgelassenes Tanzfest. Das Gelände wurde mit Musik aus den Telugu-Filme beschallt. Der Sand auf dem Boden des Playgrounds wurde vom Tanz aufgewirbelt. Die Krippe, die von der Kunstlehrerin des Soft-Skill-Centers und mir gebastelt wurde blinkte und blitzte in der von den auszubildenden Elektrikern installierten Lichtschau. Sie strahlte in allen bunten Farben. Am liebsten hätten wir, Volontäre und Brothers, die ganze Nacht mit den Jungs gefeiert, aber wir wurden von den Fathers ins Esszimmer gebeten. Dort gab es für alle Wein oder Kakao. Unser Director Father Balashowry erklärte uns Volontären, dass man in Indien Weihnachten im Kreise der Familie feiert, so wie wir es jetzt tun würden. Die nett gemeinte Versammlung von Fathers, Brothers und Volontären wirkte doch eher steif, konstruiert und aufgesetzt. Ich hörte, die Jungs draußen schreien und tanzen und hätte diesen Moment lieber mit ihnen geteilt. Aber anstandshalber belieben wir eine Weile sitzen bis wir wieder auf dem Playground mit den Jungen tanzen gingen.

Weihnachten im Don Bosco Center von Ramanthapur, so konnte man schon bereits bei den Weihnachtsvorbereitungen merken, ist in Indien ein großes, lautes, buntes Fest, ein Weihnachtsfest. Ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo man sich ruhig und besinnlich um den Weihnachtsbaum setzt, eine Kerze anzündet, Holz in den Kamin legt, Plätzchen isst, sich unter eine Decke kuschelt und langsame und ruhige Weihnachtslieder singt. Stille, heilige Nacht, beschreibt unsere deutsche Weihnacht äußerst gut. Meine Indische Weihnacht erinnerte eher an Lieder wie Rocking around the christmas tree. Entgegen meiner Erwartung muss ich aus der Retroperspektive sagen, dass die deutsche Weihnacht mich mehr als die Indische Weihnacht anspricht. Das hängt mit meiner Sozialisation zusammen. Weihnachten berührt mich persönlich mehr, wenn es ruhig im Kerzenschein und bei leisen Klängen gefeiert wird.  Dennoch bin ich dankbar, die Erfahrung einer Indischen Weihnacht a la Rocking around the christmas tree erlebt zu haben. Plausibel sind auf jeden Fall beide Arten Weihnachten zu feiern.

25. Dezember

Am ersten Weihnachtsfeiertag stand unserer finaler Auftritt mit den Jungen im Hotel Golkonda an. Wir wurden, wie auch schon die ganze letzte Woche, von Autos des Hotels chauffiert. Als wir ankamen war die Weihnachtsparty schon voll im Gang. Kleine Jungen und Mädchen liefen über den Jahrmarkt der von dem Hotel anlässlich der Feierlichkeiten aufgebaut wurde. Essstände mit Zuckerwatte und Schokobrunnen, Dosenschießen, eine Hupfburg etc. Wir wurden in einen Raum hinter der Bühne geführt. Die Jungen zogen ihre roten Latex-Kostüme an die der Tanzlehrer Vishnu ausgesucht hatte. Bis auf das Rot, konnte ich nicht Weihnachtliches an ihnen finden, genauso wenig wie an dem Jahrmarkt vor der Bühne. Es wurde mir klar, dass unsere Liederauswahl nur mässig zum Weihnachtsfest des Hotel Golkonda passte. Im Wechsel tanzten die Jungs und wir, Volontäre, sangen unsere Weihnachtslieder. Das übliche Programm  Jingle Bells, KlingGlöckchen und Stille Nacht, heilige Nacht. Doch dann kam eine unerwartete Änderung im Programm. Ein  Lückenfüller musste her. Die Jungs brauchten etwas Zeit um ihre Latexkostüme auszuziehen und in ihre PaliettenGlitzerkostüme in Erinnerung an Michael Jackson zu schlüpfen. Ich erklärt mich bereit ein Solo zu singen. So wie die Besucher des Jahrmarktes wirkten, wünschten sie sich voraussichtlich Lieder wie Last Christmas oder All I want for Christmas is you. So wie man mich kennt, entschied mich etwas anderes zu singen, ein traditionelles Weihnachtslied aus Deutschland, Maria durch einen Dornwald ging. Ruhig und besinnlich. Nicht nur, dass das Lied natürlich nicht so gut ankam, hinzukam, dass ein Powercut meine kleine Soloeinlage abbrach. Die Jung in ihren Glitzerkostümen kamen besser beim Publikum an. Zum Abschluss sangen die Jungs und wir, Volontäre, Feliz Navidad zusammen, was die Zuhörer mit einer leichten und positiven Weihnachtsstimmung entließ, so wie sie es wünschten. Nach uns kam ein Magier der so viel mit Weihnachten zu tun hatte, wie der Osthase mit Weihnachten. So wie mit dem Hotelmanager vereinbart, sollte das Hotel die Jungs und uns mit Essen und Getränken versorgen. Der Hotelmanager hatte es jedoch vergessen. Nach unserem Casting beispielsweise durften Anna, Theresa, Naresh und ich von dem Buffet essen, dass an dem sich auch die Hotelgäste bedienten. Nun kamen wir mit den Jungen und wurden in die Kantine des Hotels geschickt. Unsere Jungs waren sichtlich enttäuscht, weil Naresh ihnen erzählt hatte, wie gut das Essen beim Buffet war. Wären wir Volontäre alleine zu den Weihnachtsfeierlichkeiten gekommen wäre es auch selbstverständlich gewesen, dass wir mit den Hotelgästen beim Buffet essen. Aber mit Jungen aus einem Waisen- und Straßenkinderprojekt ist es nicht selbstverständlich. Anna und ich gingen zum Hotelmanager und fragten ihn, ob es nicht möglich wäre, vom Buffet zu essen. War nicht damit einverstanden, plausible Gründe konnte er uns nicht nennen. Eine kurzer scharfer Erklärung von Anna und mir, dass wir sauer sind, wegen der Ungerechtigkeit, dass wir ohne Jungs am Buffet essen dürfen und mit Jungs in die Kantine geschickt werden. Daraufhin sollten wir -einen Moment warten, sagte uns der Manager. Nach einer Stunde Warten, wurden wir dann zum Buffet- Bereich geführt. Anfangs fühlten sich unsere Jungs in dem schicken Restaurant unwohl, aber ihre Freude über das Weihnachtsessen war nach kurzer Zeit auf ihren Gesichtern zu sehen.

Nach dem Essen fahren Anna, Theresa und ich ins Krankenhaus zu einem Jungen unseres Projekts namens Ramesh, der auf das Dach des Ausbildungscenters geklettert war, um ein Vogelei aus der Nähe zu betrachten, aus 10 Metern Höhe heruntergefallen war und nun mit einem Hüft- und Armbruch im Krankenhaus lag. Es ging im schon sehr viel besser als vor einer Woche, als wir ihn am zweiten Weihnachtsfeiertag besuchten. Um auch ihm ein bisschen Weihnachten zu bringen sangen wir unsere Weihnachtslieder zum letzten Mal. Auch wenn die Krankenschwester uns verboten hatte zu singen und Gitarre zu spielen. Man konnte in allen Patienten des Mehrbettzimmers sehen, dass es ihnen gefiel und Ramesh übersetzte, dass sie es schön finden. Manchmal muss man auch Regeln brechen, um ein Stückchen Weihnachtszauber zu den Leuten zu bringen.