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Die Küche aus Papier – meine ersten Wochen

Wir schreiben den 5. Oktober 2018. Es ist soweit. Ich darf feierlich verkünden, dass wir nun „echte Beninerinnen“ sind, wie uns heute mitgeteilt wurde. Wieso? Das kommt später.

Zuerst einmal soll es hier um folgendes gehen: Waagen, Messer, Bleistifte, Handrührgeräte, Blankopapier und ein Wörterbuch. Ja, all diese Dinge hängen miteinander zusammen. So…

96 mal Bäcker, Koch & Konditor – meine Arbeit im Projekt

Seit nunmehr 4 Wochen arbeite ich im „Maison de l’Espérance“, im Haus der Hoffnung, einem Ausbildungszentrum für Jugendliche von 14 bis 22 Jahren, welches von den Don Bosco Schwestern Cotonous geleitet wird.

Auch wenn das nun den Ein oder Anderen vielleicht nicht so interessiert, ist es mir wichtig, euch im Folgenden dieses Zentrum noch einmal vorzustellen. Denn es ist etwas ganz Besonderes:

Was das „Maison de l’Espérance“ bieten kann

Hier können die etwa 60 Mädchen und Jungen in einer 9-monatigen, kostenlosen „Crashkurs-Ausbildung“ das Handwerk des Kochs, Konditors, Bäckers oder Seifenherstellers erlernen. Darauf folgt ein 3-monatiges Praktikum in einem Betrieb und bei erfolgreichem Abschluss der Erhalt eines Diplomes. Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber die Tatsache, dass das Zentrum den Jugendlichen keine umfangreiche Ausbildung ermöglichen kann, wie sie diese in einer 3-jährigen Ausbildung außerhalb der Einrichtung erhalten können. Diese Ausbildungen sind für viele Familien hier finanziell nicht tragbar, und so stellt das „Maison de l’Espérance“ eine Chance dar, dennoch einen Einblick oder sogar Arbeitsplatz in einem der Bereiche zu erhalten.

Was das Haus von anderen Zentren unterscheidet

Das Personal des Zentrums unterscheidet sich von dem einer Berufsschule. So gibt es neben Leitung, Ausbildern, Krankenstation und spezialisiertem Lehrpersonal noch weitere wichtige Mitglieder des Kollegiums. Sozialarbeiter und Psychologen. Persönlicher Austausch mit Schülern, Austausch auch mit Eltern und Familien der Jugendlichen ist Teil ihrer Aufgaben. Wenn ihr denkt, dass das ja eigentlich das gleiche ist, was auch an eurer Schule und vielleicht an eurem Arbeitsplatz passiert, muss ich euch leider enttäuschen. Diese Mitarbeiter kümmern sich eher selten um den Streit um Radiergummis, den Titel der besten Freundin oder wer mal wieder wem ein Papierkügelchen in den Nacken geschossen hat. Sondern darum, was man tun kann, wenn der Vater der Tochter verbietet, ihre Mutter zu sehen, wenn die Eltern dem Sohn verbieten am Unterricht teilzunehmen oder wenn ein Schüler mal wieder seit Tagen nicht am Zentrum aufgetaucht ist. Auch sind sie es, die das Leben ihrer Schützlinge planen und gestalten. Sie kümmern sich um die Vermittlung eines Arbeitsplatzes nach Vollendung der Ausbildung. Sie kümmern sich um den Aufbau eines Lebens, in welchem die Jugendlichen auf eigenen Beinen stehen können. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, welcher sie tagtäglich nachgehen.

Der Blick von oben auf den Hof und den Speiseraum des Maison de l Espérance

Auch den Hintergrund der Einrichtung darf man nicht vergessen. Ganz im Geiste Johannes Boscos findet jeden Morgen eine Morgenansprache („Mots du jour“) statt. In Ihnen geht es  um Gott und die Welt. Um Selbstvertrauen, um Respekt, um Hygiene, um die Wichtigkeit von Fachkenntnis, um Religion,… Alles, was die Köpfe junger Menschen beschäftigt.

Die Ausbildung ist nicht alles, was die Jugendlichen in diesem Haus lernen. Neben dem täglichen Unterricht ihres Faches gibt es auch das Fach „Art -Menager“. Hier lernen die Jugendlichen sauber zu machen. Ja, richtig gelesen. Ich zumindest, habe noch nie in meinem Leben so viele verschiedene Putzmittel

auf einem Haufen gesehen. Und ich komme aus einem Land, in dem Schmutz fast als Fremdwort zu bezeichnen ist. Jeden Morgen und jeden Mittag wird das gesamte Zentrum von Grund auf geputzt, gefegt, geschrubbt und poliert. Die kleine Ironie daran: Das Dreckwasser wird daraufhin eimerweise einfach vor dem Eingangstor auf die Straße gekippt.

Nun zu mir…

Was also tut nun ein junges, europäisches Mädchen, ohne pädagogische Ausbildung bzw. Ausbildung zu Koch, Konditor etc. mit recht eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit und gänzlich anderem äußerlichen Aussehen hier? In meinem ersten Monat: Meine Fähigkeiten einbringen. Kreativ sein. Da sein. Das heißt: 96 mal Küche, Konditorei &Co aus Papier.

Nicht alle Schüler im Haus sprechen fließend Französisch. Fon, die Regionalsprache Südbenins ist hier weit verbreitet. Für schriftliche Prüfungen und das spätere Arbeitsleben stellt diese Tatsache das Zentrum immer wieder vor eine Herausforderung. Zwar gibt es bei den monatlichen Zwischenprüfungen auch eine mündliche Prüfungsmöglichkeit, doch um dennoch aktiv etwas gegen die Sprachbarriere zu tun, hatte ich die letzten vier Wochen folgenden Auftrag.

Die Morgende

Meine Arbeit

Ich habe gezeichnet. Ich habe mich durch Küche, Bäckerei, Konditorei und Putzkammer gezeichnet. Alles was mir in die Hände gekommen ist wurde zu Papier gebracht. Vom Gemüseschäler zum Backofen, vom Saucentopf zum Lufterfrischer zum Mehlsack. Noch bin ich nicht am  Ende angekommen. Doch 96 Gegenstände sind zu Papier gebracht und mit dem französischen Namen versehen worden.

„Wer hat dir das beigebracht?“, „Kannst du mir das beibringen?“, „Wo hast du das gelernt?“, „Kannst du mich zeichnen?“. Unzählige Male habe ich im vergangenen Monat diese Fragen versucht zufriedenstellend zu beantworten. Habe unzähligen Schülern und Schülerinnen Rosen in ihre Hefte gezeichnet, habe Enten, Torten und Weihnachtsbäume an Tafeln skizziert und meiner Chefin einen Tagesablauf für ihren kleinen Sohn gezeichnet. Mich einbringen. Mit meinen Fähigkeiten. Vielleicht ist das nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Stundenlang mit Holzstiften am Schreibtisch sitzen. Aber vielleicht war es für den Anfang trotzdem gut.

Konditorei-, Küchen-, und Bäckereiutensilien

Wenn ich gerade nicht irgendwo mit Buntstiften und Radiergummi an einem Tisch saß, habe ich meine Runden durch die verschiedenen Ateliers gedreht, mit den „Bäckern“ auf der Terrasse gesessen und über Deutschland geredet, den „Konditoren“ beim Kuchen backen zugeschaut und Ihnen von Familie und Freunden erzählt oder bin in der Küche im Weg rumgestanden während ich die „Köche“ beim Kochen über der Feuerstelle beobachtet habe.

Das Nachmittagsprogramm

Dienstag und Freitag. Das sind meinen Tage. Heute bin ich mal wieder dran. Dran mit dem Versuch zwei Stunden lang etwa 30 Jugendliche aus ihrem Mittagstief zu locken und sie zu beschäftigen. Ich gebe ganz ehrlich zu, bei den vergangenen 6 Malen, welche ich es inzwischen versucht habe, hat es noch nicht völlig zufriedenstellend funktioniert. Aber ich bin zuversichtlich. Mal sehn wie sich das entwickelt…

Was sonst noch so passiert ist

Auch außerhalb des „Maison de l’Espérance“ ist in unserer WG in der letzten Woche wieder einiges passiert…

Karottenrosen auf Papaya und Rohkosteule

Hört sich nach Salatbuffet an? Ausnahmsweise mal keine mehrdeutige Überschrift. Genau das ist es. Letzten Sonntag war es das erste Mal soweit. Ich durfte mich mit meinen Mitbewohnerinnen Hanna und Johanna in der Küche ausprobieren. Ab sofort wird das einmal im Monat sonntags unsere Aufgabe sein.  Zum vorsichtigen Heranführen, hatte man uns nun erst einmal mit dem Richten der Salate beauftragt. Allerdings hatten wir für diese Aufgabe zu viel Zeit zur Verfügung. Somit wurde aus „Papayas richten“ „Papayahälften garniert mit Karottenrosen und Gurkenschalenblättern“, aus „Gemüse schneiden“ wurde eine „Rohkosteule“ und aus „Wassermelone aufschneiden“ ein „Wassermelonenkorb mit Melonenherzchenfüllung“.

Mit dem Schneebesen zum Eischnee

Hast du es schon einmal probiert? Wenn, dann vermutlich in einer Challenge auf einem Geburtstag oder einer Hochzeit. Aber hast du es schon mal ernsthaft probiert? Vermutlich nicht. Warum auch. Jeder Haushalt hat bei uns mindestens ein elektrisches Handrührgerät.  Schon einmal daran gedacht, dass man sogar in seiner Ausbildung zum Konditor keinen Zugriff auf jegliche Elektrizität haben könnte. So ist es. Vergangenen Montag fand im „Maison de l’Espérance“ die Abschlussprüfung der Konditore statt. Nach einer mündlichen Abfrage ging es an die Praxisprüfung. Biscuitrolle ohne Strom und im Gasofen. Da ist Körpereinsatz gefragt. Die Ergebnisse konnten sich jedenfalls sehen (und schmecken) lassen!

Bauch, Beine, Po

Nach unserem Schneidereibesuch…

Nein, es handelt sich hierbei weder um Fitnesstraining noch um Problemzonen. Es geht schlicht und einfach um Bauch, Beine, Po, Taille, Arme, Rücken und so manche weitere Körperteile, deren Länge, Breite, Umfang und vermutlich auch Radius und Durchmesser bei unserem ersten Schneidereibesuch in der vergangenen Woche gemessen wurden. Nachdem wir uns am Samstagvormittag auf den Weg zum größten Markt Westafrikas gemacht haben um uns dort erstmals mit Stoffen einzudecken, ging es noch am selben Nachmittag zu Fuß und ausgestattet mit Skizzen und Vorstellungen der gewünschten Kleidungsstücke zur Schneiderin. Wir konnten kaum den Donnerstag erwarten, wo wir dann vorfreudig unsere Ergebnisse abgeholt und natürlich direkt anprobiert haben. Wird definitiv nicht das letzte Mal gewesen sein! „Jetzt bist du wirklich Beninerin“ kommentierte man direkt am nächsten Morgen mein Ankommen, nachdem ich mit einer bunten Hose am Ausbildungszentrum vom Motorrad gestiegen war.

Nach unserem Marktbesuch


Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Eintrag einen etwas breiteren Einblick in meine Arbeit und mein Dasein ermöglichen, auch wenn ich noch meinen gesamten Wochenablauf dargelegt habe. Wenn ihr zu irgendetwas Fragen oder Anmerkungen habt, dann freue ich mich wie immer über Kommentare oder Nachrichten. Ansonsten möchte ich mich an dieser Stelle bedanken für das positive Feedback zu meinen vergangenen Blogeinträgen, welches ich bekommen habe. Auch über solche Nachrichten freue ich mich sehr! Meldet euch einfach!

Ein weiterer Dank gilt dir. Danke fürs Lesen und ggf. Weitersagen. Ich freue mich über jeden einzelnen Mitleser.

 

Das war er. Der heutige Blog. Solltest du jetzt nichts mehr zu tun haben und beginnen dich durch Instagram, Snapchat, Facebook oder die neuesten Kontoauszüge durchzuklicken, habe ich eine bessere Idee für dich. Versuche mal einen Kuchen ohne Strom zu backen. Oder noch besser: Schau mal hier vorbei und unterstütze mich bei meiner Reise im Herzen Afrikas.

Liebe Grüße von 40 Breitengrade südlicher

Annika

 

PS: Wenn ihr in diesem Blog den ein oder anderen Satz übersprungen habt, weil er zu lang geworden ist, oder wenn ihr das Gefühl hattet, dass ich mich gerade wiederhole, so will ich euch das heute ausnahmsweise verzeihen.  Schuld daran ist unser W-Lan. Während dieser Blog entsteht schauen wir gerade 4 Stunden lang einen 90-minütigen Film an . Ja. Das funktioniert. Recht schlechter Internetverbindung sei Dank. Die Ladepausen des Filmes werden genutzt um hier einen neuen Absatz hinzuzufügen.

PPS: Du! Bist du eine von denen Personen, die sich gerade überlegt sich bis Ende Oktober für einen Freiwilligendienst zu bewerben? Wenn ja, dann lass dir sagen: Denk nicht nach. Tu’s einfach! Egal ob im In- oder Ausland, mit Kindern, mit Pflanzen oder mit Tieren. Bewirb dich! Trau dich!

 

 

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