Lilli in Indien

Don Bosco Volunteer Blog

Musikalische Taubstumme in Deepa Nivas

Ich hab schon mal erwähnt, dass es bei mir im Projekt auch 3 taubstumme Jungs gibt. Und ehrlich? Mein erster Gedanke war „Wenn ich abends mit den Kindern zusammen etwas singe und ein bisschen Gitarre spiele, ist das ja richtig blöd für die. Da können die ja gar nicht mit machen.“ Wie so oft kommt es anders als gedacht…

Nichts ist besser als der Bass

Heute gab es ein Fest, und zur Feier des Tages haben wir erstmal in der Dining Hall Boxen aufgestellt und haben richtig laut Telugu Musik aufgedreht. Telugu Lieder sind meistens aus den Tollywood Filmen entnommen, weswegen ein paar der älteren Jungs im hinteren Teil der Dining Hall sogar die Originalchoreographie tanzen. Natürlich haben wir auch unsere Profitänzer vom Haus; die selber super gut tanzen (WIRKLICH gut), neue Choreos entwerfen und den anderen Kindern neue Schritte zeigen. Ich gehöre meistens zur Mehrheit; die sitzt, zuschaut und die Tänzer mit Klatschen und Rufen anfeuert. Manchmal mache ich aber auch mit und lege einen süßen kleinen Charleston hin, was die Kinder voll faszinierend finden.

Und wo finde ich hier meine gehörlosen Jungs? Mitten unter den Anderen; sie lachen, klatschen und schauen voller Freude den Tänzern zu. Er dreht sich um und schaut mich an. Deutet auf die Box und macht ein „Cool“-Zeichen (->das Tauchersymbol für „Alles okay“). Ich frage: „Du(zeige auf ihn)-Musik(zeige auf den Boxen)-Hören(Hand an Ohr)-Wie(Hand in der Luft wackeln)?“ Er buchstabiert mit seinen Händen: „B-A-S-S“ und legt dann seine Hand auf seinen Bauch, dort wo sein Zwerchfell liegt. In sein Gesicht tritt ein Ausdruck, der sagt „Tja, ich bin halt ein ziemlich cooler Kerl, was?“ Ich bin fasziniert. Den Bass raushören kann ich ganz gut, aber wirklich gespürt hab ich Bass bisher nur auf wirklich lauten Konzerten und im Zimmer meiner Schwester. Und das Lied ist relativ seicht, da ist nur ein ganz leichter Bass, kann ich den auch fühlen? Ich mache meine Augen zu und probiere die laute Musik auszublenden und durch die ganzen Audiosignale, die in mein Hirn reinhämmern, auch irgendwo mein Zwerchfell zu spüren. Keine Chance. Unnötig zu sagen, bin ich als Hörende, Musikerin und auch als Mensch komplett fasziniert von dieser neuen Wahrnehmung der Musik.

Instrumente spielen

Ich sitze abends mit ein paar Jungs draußen auf der Treppe und wir singen zusammen Lieder. Der Mond scheint matt auf uns runter und die Insekten schwirren leise um uns herum. Ich begleite sanft mit der Ukulele. Die Kinder kennen komplett keine westliche Musik, geschweige denn den Text. Ich kenne komplett keine Telugu Musik, geschweige denn den Text. Aber manche Lieder kennen wir trotzdem alle, richtige Hits sind zum Beispiel „Probier`s mal mit Gemütlichkeit“ aus dem Dschungel Buch oder auch „Twinkle Twinkle little Star“. Und auch „God-Songs“ werden immer gefragt und gerne gesungen. Dabei achte ich aber darauf dass es eher allgemein bleibt, da wir auch viele Muslime und Hindus haben. Man muss ja nicht gleich über Jesus als Gottes Sohn und die heilige katholische Kirche singen. So gelingt es, das wir auch einen spirituellen Touch in unserem kleinen Lieder-Abenden finden und die Stimmung mit den 5-6 Jungs von ausgelassen-albern in wenigen Minuten zu festlich, ernst, erfüllt und –vor allem- verbunden umschlagen kann.

Auch einer meiner taubstummen Jungs nimmt gerne an diesen Abenden teil. Er schaut zu wie wir singen und ist gerne Teil dieser Atmosphäre. Ich habe mich an die Sache mit dem Zwerchfell erinnert- und bekam eine Idee. Ich hole meinen jungen Freund zu meiner rechten Seite und gebe ihm die Ukulele. Als Geigenspielerin weiß ich dass das Holz meiner Geige schwingt wenn sie mal gespielt wird. Und wirklich- er kann die Schwingungen der Ukulele fühlen! Er zupft die Saiten in dem Takt wie ich ihn mit meiner freien Hand auf seinen Handrücken (der freien Hand) klopfe- während ich mit der anderen Hand die Akkorde greife. Nach ein zwei Liedern übernehme ich wieder komplett, aber ich sehe jedes Mal wie sehr es ihm taugt und ihn freut.

Stille Kommunikation

Ich genieße es wirklich mit den drei Taubstummen zu reden. Es ist zwar meist etwas umständlich und manchmal etwas unklar, aber es ist sehr erholsam. Einerseits weil sie nicht solange “Sister” rufen bis du ihnen endlich Aufmerksamkeit gibst (während du grad was anderes  klären musst), sondern dich einmal anstupsen und dann (wenn es mal wirklich sein muss) geduldig die 20 Sekunden abwarten. Andererseits muss man mit ihnen auch nie durch den ganzen Raum brüllen (über 50 kleine Kinder hinweg) um kurz was zu sagen, sondern kann einfach mit den Händen kommunizieren. Wenn man grad ein Handy oder ein Notizbuch und einen Stift zur Hand hat, dann kann auch einfach schreiben was man sagen will. Swaan und ich bekommen zum Beispiel auch immer wieder Briefe von einem der Jungs. Zum Beispiel diesen hier habe ich letzte Woche bekommen:

„Ward off the effects of brain aging“- ich habe so hart gelacht. Generell hat man mit den Jungs immer was zu lachen- und um die Ecke denken ist hier mein Gehirnsport geworden. Es ist aber auch  spannend ihnen beim Reden untereinander zuzuschauen, es ist wirklich eine andere Sprache, die aber auf einer so anderen Art stattfindet. Übrigens können die Jungs nicht nur die Zeichensprache, sondern sind auch ziemlich flüssig in Telugu, Hindi und Englisch.

Lieblingsthema aus Deutschland: Integration

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass die taubstummen Jungs sehr gut integriert sind. Die drei gehören aber auch zu den Jungs, die am längsten in diesem Projekt leben. Ich finde es einfach extrem cool, dass es hier einen Platz für die Jungs gibt und dass sie hier auch auf die Schule für Taubstumme gehen können. Beispiele für gelungene Integration?

Einer von ihnen ist in seinem letzten Jahr Schule und hat mir erzählt, dass er in ein College für Taubstumme in Bangalore gehen will. Hier in Vijayawada gibt es auch eins, aber er meint, das in Bangalore sei besser/cooler. Das College für Taubstumme in Vijayawada ist kaum hundert Meter von seiner jetzigen Highschool entfernt. Er will halt einfach raus in die Welt, will was anderes sehen als Vijayawada. Und ein Anderer in der Clique kommt ursprünglich aus Neu-Delhi; als frischer Vollwaise ist er als Kleinkind alleine in einen Zug gestiegen, ist ein bisschen rumgeirrt und wurde dann als kleiner Stöpsel von der Street Presence in Vijayawada gefunden. Der hat jetzt nur noch zwei Jahre Schule vor sich, letztens hat er mir sein Zeugnis gezeigt: nur Einser und Zweier.

Im Alltag, beim Spielen, beim Essen- da vergisst man die Geschichten manchmal. Ich bin beeindruckt wie die Jungs ihren vollgepackten Alltag meistern, wie sie selbstbewusst hinaus in die Welt stapfen wollen und wie ehrgeizig sie sind. Doch wenn ich mir wieder in den Kopf rufe, was die Jungs schon hinter sich haben, von wo diese Jungs starten mussten- dann fehlen mir vor Bewunderung die Worte. Und das nicht nur bei den taubstummen Jungs.

Liebe Grüße an alle,

Eure Lilli

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1 Comment

  1. Petra

    Wow Lilli echt beindruckend 🙂 es scheint du hast dich jetzt ganz gut eingelebt und fängst an dich zu entfalten und es macht dir spass oder? Deine Sprache ist ganz klar und flüssig. Auch sprichst du wieder viel von Musik und musizieren was du ja so gerne und so toll machst :):):)

    Du entdeckst ganz viel, beobachtest und baust Beziehungen auf wie schön :):):)

    Das mit dem Musik fühlen ist klasse 🙂

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